Erläuterungen zur Weisheit der Woche

Die Weisheit der Woche findest Du ab sofort hier

 

 

"...Du strebst im Äußeren zu fahren, du verstehst es noch nicht, nach der inneren Kontemplation zu streben. Wenn wir im Äußeren fahren, versuchen wir aus den Wesen zu ergänzen, was uns fehlt. Wenn wir nach innen blicken, gewinnen wir alles, dessen wir bedürfen, aus uns selbst. Solches ist die Vollendung des Fahrens; das Erstgenannte ist unvollkommenes fahren...Der vollkommene Reisende weiß nicht, wohin er gelangt; der vollkommene Betrachter weiß nicht, was er vor Augen hat."(1)

Liezi, Kap. 4

Liezi entwickelt ansatzweise eine Psychologie der Bewegung im Inneren und Äußeren. Die Reise nach innen führt dabei zur Meisterschaft.

(1) Kaltenmarck, Max (Übers.):  Lao-Tzu und der Taoismus. Frankfurt am Main: Insel 1996

 

 

 

"Der Herr der gelben Erde wandelte jenseits der Grenzen dieser Welt. Da kam er auf einen sehr hohen Berg und schaute den Kreislauf der Wiederkehr. Da verlor er seine Zauberperle. Er sandte Erkenntnis aus, sie zu suchen, und bekam sie nicht wieder. Er sandte Scharfblick aus, sie zu suchen, und bekam sie nicht wieder. Er sandte Denken aus, sie zu suchen, und bekam sie nicht wieder. Da sandte er Selbstvergessen aus. Selbstvergessen fand sie."(1)

Zhuangzi

Der Herr der gelben Erde überblickte die Rückkehr zum Ursprung. Dann verlor er den Zugang dazu. Er wandte verschiedene Methoden an, um ihn wiederzufinden, aber nur das "Selbstvergessen" konnte helfen. Das "Sitzen in Vergessenheit" findet sich als Beitrag auf diesem Blog.


(1) Wilhelm, Richard: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland/Dschuang Dsi. München: Hugendubel 2002

 

 

 

Der "Wahre Mensch"

"Der Wahre Mensch des Altertums träumte nicht während des Schlafes und machte sich im Wachen keine Sorgen. Seine Speisen waren nicht aufwendig gewürzt, und sein Atem ging tief. Der Wahre Mensch atmete von den Fersen aufwärts, während der gewöhnliche Mensch nur aus dem oberen Brustkorb atmet. Jenen Menschen, die nicht nachgeben wollen, bleiben die Worte im Halse stecken, so als müssten sie sich erbrechen. Wer tiefsitzende Begierden hat, dessen natürliche Reserven sind gewöhnlich seicht."(1)

Der "Wahre Mensch" ist das Ziel der daoistischen Selbstkultivierung. Zhuangzi schildert einige seiner Eigenschaften. Sie lassen sich unterteilen in körperliche und geistige.

körperliche Aktivitäten: 

  • tiefer Atem, in der Vorstellung über die Fußsohlen
  • traumloser Schlaf, oder zumindest im Bewusstsein traumlos
  • nur leicht gewürzte Nahrung

 geistige Haltung:

  • Sorglosigkeit
  • Nachgiebigkeit, Flexibilität, Biegsamkeit, Anpassungsfähigkeit
  • frei von Begierden und Verlangen

Das Gegenteil: 

körperliche Aktivitäten

  • wilde Träume
  • stark gewürzte Nahrung
  • oberflächliche Atmung im oberen Brustkorb

geistige Haltung

  • sich sorgen um Umstände und Menschen
  • ausgeprägtes Wünschen und Wollen, Sehnsucht
  • Halsstarrigkeit, Rechthaberei, Unbeugsamkeit in der Konfrontation

(1) Zhuangzi, V. Mair (Übers.): Auswahl. Stuttgart: Philipp Reclam Jun. 2003, aus dem Engl. S. Schuhmacher, S. 93 

 

 

 

"Werde nicht um des Ruhmes willen zum Leichnam,

mach kein Lagerhaus für Pläne aus dir selbst;

übernimm nicht Verantwortung für allerlei Geschäfte,

fühle dich nicht als Eigentümer des Wissens."(1)

Zhuangzi

Zhuangzi gibt Tipps für die Beruhigung der Gedanken, eine Voraussetzung für die daoistische Meditation aber auch für den bestmöglichen gesundheitlichen Effekt des Qigong und der erste Schritt zum "Wahren Menschen" im Daoismus.

(1) Zhuangzi, V. Mair (Übers.): Auswahl. Stuttgart: Philipp Reclam Jun. 2003, aus dem Engl. S. Schuhmacher, S. 114 

 

 

 

"Der Säugling sieht den ganzen Tag lang die Dinge an, ohne zu blinzeln und zu starren, weil seine Augen auf keinen bestimmten Gegenstand gerichtet sind. Er geht, ohne zu wissen, wohin er geht, und hält inne, ohne zu wissen, was er tut. Er geht in seiner Umgebung auf und gibt sich ihr anheim. Das sind die Prinzipien geistiger Hygiene."(1)

Eine plastische und nachvollziehbare Schilderung der inneren Haltung des Wu Wei, des Nicht-Unterscheidens, der Hingabe an den Lauf der Welt, der Absichts(Selbst)losigkeit, der Reinheit des Geistes und damit der Ruhe.

(1) Zhuangzi Kap. 23, Übers. Lin Yutang, zit. nach Alan Watts: Der Lauf des Wassers. Frankfurt u.a.: Insel 2003, S. 90

 

 

 

"Das, was mit Worten besprochen wird, das ist das Grobe an den Dingen. Und das, was mit Gedanken erreicht werden kann, das ist das Feine an den Dingen. Das aber, was von Worten nicht besprochen und von Gedanken nicht untersucht und erfasst werden kann, ist das, was weder zum Groben noch zum Feinen gehört."(1)

Zhuangzi umkreist das Dao.

(1) Zhuangzi, Hans-Georg Möller (Übers.): Herbstfluten, in Möller: In der Mitte des Kreises, Frankfurt u.a.: Suhrkamp Taschenbuch 2001, S. 69

 

 

 

Das Leiden der Brauchbarkeit

In Sung ist ein Platz namens Dornheim. Dort gedeihen Katalpen, Zypressen und Maulbeerbäume. Die Bäume nun, die ein oder zwei Spannen im Umfang haben, die werden abgehauen von den Leuten, die Stäbe für ihre Affenkäfige wollen. Die, die drei, vier Fuß im Umfang haben, werden  abgehauen von denen, die nach Balken suchen für prächtige Häuser. Die mit sieben, acht Fuß Umfang werden abgehauen von den vornehmen und reichen Familien, die Bretter für ihre Särge suchen. So erreichen sie alle nicht ihrer Jahre Zahl, sondern gehen auf halbem Wege zugrunde durch Axt und Beil. Das ist das Leiden der Brauchbarkeit.

In einem alten Opferbuch heißt es, dass Rinder mit weißen Stirnen, Schweine mit langen Rüsseln und Menschen, die an Geschwüren leiden, dem Flussgott nicht geopfert werden dürfen. Alle Priester wissen das und halten jene Eigenschaften darum für unheilvoll. Der Mann des Geistes aber hält gerade sie für segensreich.

Dschuang Dsi, Das wahre Buch vom südlichen Blütenland, nach einer Übersetzung von Richard Wilhelm

 

Zeit für Selbstkultivierung und Entwicklung anstelle von Heldentum.


 

 

„Wenn man gelassen und frei von Wünschen ist,

erhält man sich das wahre Qi,

wenn man die geistigen Kräfte im Inneren bewahrt,

wie könnte Krankheit einen dann angreifen.“

Der Klassiker des Gelben Kaisers

(Huang Di Neijing Suwen)


In diesem 2000 Jahre alten chinesischen Medizinbuch finden sich Vorschläge für ein gesundes Leben, die es ebenso im europäischen Christentum gibt. Die Abwendung von Begierden ist seit Jahrhunderten auch in unseren Breiten als heilbringend bekannt. Nicht selten erreichen Nonnen ein hohes Alter.

Die Ausrichtung der Aufmerksamkeit ins Innere, die Reduktion des Umherschweifens hat eine aufbauende Wirkung auf die eigene Konstitution. Aber wo ist der richtige Ort für die Ausrichtung der Konzentration im Körper? Im Allgemeinen ist das untere Dantian und ggf. auch der Danzhong, das Herzzentrum, eine passende Option. Letzteres liegt in der Mitte zwischen den Brüsten.

Gelassenheit im Trubel des Alltags ist leichter gesagt als getan. Hilfreich kann Selbsterkenntnis sein, das Wissen um die eigenen Gefühlsregungen, die auf bestimmte Reize folgen. Es gibt die fünf schädlichen Emotionen in der chinesischen Medizin: Wut/Zorn/Ärger, Grübelei/Schwermut, Trauer, Angst/Schock und übermäßige Freude/Euphorie. Wenn diese Zustände langanhaltend oder äußerst stark sind, können sie die Gesundheit schädigen. Es gilt also, diese Gefühle wahrzunehmen, um sie verarbeiten zu können und dann nach Wegen zu suchen, sie auch wieder loszulassen. 

Und was verhindert das Loslassen von Gefühlszuständen? Die Antwort ist vielfältig. Es können bspw. verinnerlichte Grundannahmen über das Leben sein, die man unbemerkt mit sich trägt, wie die Ansicht, es müsse alles gerecht zugehen oder die Vorstellung, man gebe nicht auf bis die Welt zu einem besseren Ort geworden ist. Wenn die gesteckten Ziele zu hoch sind, wird man niemals Gelassenheit erreichen können. Das Festhalten an schönen Erinnerungen anstelle einer offenen Begegnung mit der Gegenwart kann nachhaltig traurig machen. Regelmäßige übergroße Freude, vielleicht zur Ablenkung mit exzessivem Feiern oder einem stetigen Kaufrausch, zerstreut das Qi und raubt damit die Kraft. Natürlich gibt es viele andere Gründe. 

Die Benennung einer Ursache kann aber nicht die Ausrede für übermäßige Gefühlsbäder sein, denn sie sind schädlich für Körper und Geist. Daher bleibt nur, sich selbst etwas Gutes zu tun, und die fünf Emotionen ziehen zu lassen.

 

 

 

Die Leere im Daoismus

"Als ein Nicht-Seiendes (wu) wird sie gedacht als außerhalb von Raum und Zeit. In dieser Hinsicht bildet sie den Gegenpol zu allem Seienden (you) und ist die eine Formlosigkeit gegenüber der unendlichen Vielfalt der Formen. So haben wir auf einer metaphysischen Ebene das Dao oder die höchste Leere und auf einer physischen Ebene alle Erscheinungen der Welt. Die Idee dieser zwei grundlegenden Ebenen tritt im Daoismus häufiger auf."(1)

Speziell in der Inneren Alchemie wird die vorgeburtliche Leere als Heimat des Menschen betrachtet, zu der es gilt zurückzukehren.

Daoistische Texte betonen für die geistigen Übungen oft die Relevanz der Leere. Damit ist ein Zustand der Unbewegtheit oder Freiheit von Gedanken, Gefühlen, Sorgen, Anhaftungen an Weltliches und Wünschen gemeint.(2)

(1) Darga, Martina: Stille und Leere, in:
Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2013. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 123

(2) Vgl. ebd., S. 123 f.

 

 

 

Cathérine Despeux über die Seele in der antiken chinesischen Medizin

"Die Seele (shén) bewegt sich... man versteht gleichwohl, dass die Seele (shén) den Körper beseelt, denn ihr Abgang hat das Aufhören jeder Bewegung zur Folge."(1)

Der Sitz der Seele (shén) im Herzen wird nicht mehr infrage gestellt. Es gab aber auch theoretische Überlegungen einer Bewegung der Seele (shén) oder mehreren durch den Körper in Entsprechung mit den Bewegungen des Himmels, so z.B. mit den Jahreszeiten. Es galt eine Verletzung der Seele (shén) durch Eingriffe wie Akupunktur oder Gefühlen an den entsprechenden Orten zu vermeiden. Unklar ist, inwieweit sich die Seele (shén) mit dem Begriff "Qi" in manchen Konzepten gleichsetzen lässt, die begriffliche Differenz also lediglich auf der Herkunft aus anderen Schulen und Theorien beruht. 

(1) Despeux, Catherine: Seelen und Beseelung des Körpers - der Begriff shén in der antiken chinesischen Medizin, in:
Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2013. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 24 

(2) Vgl. ebd., S. 17 ff.

 

 

 

Martin Buber über "Wuwei" - Nicht-Handeln

"Dieses Tun, das ´Nichtstun` ist ein Wirken des ganzen Wesens, In [sic.] das Leben der Dinge eingreifen, heißt sie und sich schädigen, Ruhen aber heißt, wirken, die eigne Seele reinigen, heißt die Welt reinigen [sic.] sich in sich sammeln, heißt hilfreich sein, sich Tao ergeben, heißt die Schöpfung erneuern."(1)

Martin Buber stellt den Zusammenhang zwischen der eigenen Selbstkultivierung und der positiven Rückwirkung auf die Welt her. 

Die Welt ist vernetzt. Daher entsteht aus der Arbeit an sich selbst im Sinne einer Läuterung des eigenen Seelen- und Geisteszustands und, aus meiner Sicht, einhergehend mit einer Verfeinerung des körperlichen Befindens, in kleinen Schritten eine bessere Welt. Das klärende Wirken nach innen bewegt das Außen im Positiven. Das direkte Wirken nach außen führt im Zuge der Selbstüberschätzung auf Abwege von der Verwirklichung des eigentlichen Wesens der Dinge.

(1) Buber, Martin 1952, zit. nach Friedrichs, Elisabeth: Konzepte des Daoismus - Ahnherren der Psychosomatik?, in: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2006. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 112 f.

 

 

 

"Die Wolkenwanderung (yúnyóu) ist eine Methode des religiösen Daoismus, sein Leben zu kultivieren. Wenn Daoisten auf Reisen gehen, um Wahrheit zu finden und Wissen über das Dao zu sammeln, so bezeichnet man dies als Wolkenwanderung. Daoisten sind Leute, die die Befehle des Himmels entgegen nehmen. Da man seine Grundlagen dem Himmel anvertraut, nennt man diese Wanderschaft Wolkenwanderung."

Qiu Xinde

Der Autor schildert seine Erlebnisse und seine persönliche Entwicklung auf der Wolkenwanderschaft als junger Mönch. Eine wunderschöne Erzählung von 9 Seiten, die es zu lesen lohnt.

(1) Qiu Xinde, Übers. Bartl, Marlies: Auf Wolkenwanderschaft, in: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng, Jg. 2006. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 92 ff.

 

 

 

"Gleich ziehenden Wolken sind die Objekte und Tatsachen dieser Welt für den Daoisten einfach Formen und Phasen, die in ihrer bestimmten Form gerade lange genug bestehen, um sie als Einheiten zu betrachten."(1)

Philip Rawson 
 
Das Motiv des steten Wandels im Daoismus wirft Fragen über die Substanz, das Wesen und die Existenz der Dinge auf.
 
(1) Rawson, Philip 1974, zit. nach Bleihauer, Margit: Berge und Wolken - Gute Freunde, in: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng, Jg. 2006. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 106
 

 

 

"Wir begegnen einander, nur um uns zu trennen,

Wir kommen und gehen, wie die weißen Wolken"

Ryokan
 

Losgelöst von Bindungen, auch von menschlichen, den Bewegungen der Natur folgend. Den Veränderungen nachgebend, sich selbst verändern.


(1) Ryokan, zit. nach Bleihauer, Margit: Berge und Wolken - Gute Freunde, in: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2006. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 105

 

 

 

"Der Geist bringt die Form hervor und die Form bringt den Geist hervor. Hat eine Form keinen Geist, kann sie nicht von selbst leben. Hat ein Geist keine Form, kann er von selbst nicht vollständig werden. Verbinden sich Form und Geist, dann geben sie sich gegenseitig Leben und vollenden sich gegenseitig."

Der Klassiker des westlichen Aufstiegs - Xishengjing

 

Geist und Form sind nicht nur voneinander abhängig, sondern beflügeln gegenseitig ihre Entwicklung.

(1) Chen, Yaoting, Übers. Bartl, Marlies: Die Grundprinzipien der daoistischen Lebenspflege, in: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng, Jg. 2006. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 75

 

 

 

 

" Selbstzufrieden sucht ein außergewöhnlicher Mensch seine Ruhe bei Vögeln und Blumen, öffentliche Anerkennung kümmert ihn wenig, er findet Genüge im Betrachten der Wolken, die den Berggipfel einhüllen." (1)

Chang Ch`ao
 
(1) Lin, Yutang 1981, zit. nach Bleihauer, Margit: Berge und Wolken - Gute Freunde, in: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2006. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 103 
 
 

 

 

 ..."Versuche also nicht den `Weg´ (Dao IK) in bestimmten Dingen auszumachen, denn dann gibt es kein Entkommen von den Dingen...

Das, was die Dinge macht, hat keine Grenze zu den Dingen, aber damit die Dinge Grenzen haben, sprechen wir von der ´Grenze zwischen den Dingen´. Die grenzenlose Grenze ist die Grenze ohne Grenze"...

Zhuangzi


Zhuangzi, Kap. 22, Übers. Mair, Viktor H. zit. nach Pohl, Karl-HeinzDas Unsagbare sagen, in: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2013. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 53

 

Die Sprache schafft in der Bezeichnung der Dinge künstliche Grenzen, die in der Wirklichkeit nicht bestehen. Wir benötigen sie, um uns mit dem Werkzeug unseres Verstandes zu orientieren. Das Dao ist in der Weite zu finden, da wo die Bezeichnungen nicht sind.

 

 

 

 

"Bist Du leer, dann bist Du ohne Hindernisse. Bist Du still, dann bist Du ohne Verlangen. Ist die Leere an ihrem Höhepunkt und die Stille wahrhaftig, dann schaust Du die Wandlungen und kennst die Zyklen."(1)

"Anthologie der Harmonie der Mitte"- Zhonghe Ji

(1) Li Daochun, Übers. Darga, Martina: Stille und Leere, in: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2013. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 125

Im Daoismus glaubt man an die  stete Wandlung der Dinge und Wesen und an die Bewegung von Makro- und Mikrokosmos in Zyklen. Die Abläufe von Himmel und Erde finden sich analog im Körper des Menschen.

 

 

 

 

"Betrachte den Weg des Himmels und begreife seinen Mechanismus, das ist schon alles."(1)

"Klassiker des Yin-Talismans"

 

Das Universum bewegt sich nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten. Man versucht, diese zu erfassen und richtet sich nach ihnen, folgt ihnen, um nicht den größeren, nicht beeinflussbaren Regeln zuwider zu handeln. Der Mensch bildet eine Einheit mit dem Himmel.(2)

(1) Chen, Yaoting, Übers. Bartl, Marlies: Die Grundprinzipien der daoistischen Lebenspflege, in: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng, Jg. 2006. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 75

(2) vgl. ebd., S. 75

 

 

 

 

Der Beste ist wie das Wasser

        Die Güte des Wassers besteht darin,

        den zehntausend Dingen zu nutzen

        und im Streit den Platz einzunehmen,

        den die Menge des Volkes für schlecht hält.

Also ist er dem Dao nahe.

Seine Stellung 

        ist gut in Hinsicht der Ortswahl. 

Sein Herz

        ist gut in Hinsicht der Tiefe.

Sein Spenden  

         ist gut in Hinsicht des Himmlischen Wirkens.(1)

 Laotse (Laozi)


Die "zehntausend Dinge" sind die Vielzahl der Dinge und Erscheinungen unserer Welt der alltäglichen Wahrnehmungen. Das "Herz" ist das Fühlen und Denken.

Das Wasser sucht sich seinen Weg in den Niederungen, und es kommt überall hin. Es schließt nichts aus. In den Tiefen liegen die Wurzeln, die nähren. Das Ringen um die ersten Plätze ganz vorne entspricht dem Dao nicht. 

Das Umschließen der gesamten Wirklichkeit, also das Unterlassen jeglicher Ausgrenzung kann zu einer offeneren inneren Haltung führen und damit zu einem offeneren Bewusstsein. Die Abspaltung und Abwehr von Wirklichkeiten verhindert eher ein Erfassen der ganzen Wahrheit.

(1) Möller, Hans-Georg: In der Mitte des Kreises. Frankfurt a.M., Leipzig: Insel 2001, S. 43 f.

 

 

 

 

"Wenn ein Gelehrter in früheren Zeiten keinen ebenbürtigen Freund in seinem Dorfe fand, freundete er sich mit Wolken und Bergen an..."(1)

Yuan Jie (8.Jhd.)
 

Yuan Jie, war ein Beamter und Dichter im alten China der Tang-Dynastie. Er nannte sich "Heiterer Gelehrter" und später "Überflüssiger Alter".


(1) Lin, Yutang 1981, zit. nach Bleihauer, Margit: Berge und Wolken - Gute Freunde, in: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2006. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 103

 

 

 

Ein Künstler rundete Gegenstände, so dass sie genau mit dem Zirkel übereinstimmten. Seine Finger gaben sich völlig den Veränderungen des Materials hin, und so brauchte er nichts in seinem Herzen abzuwägen. Daher waren seine Gedanken geeint und behinderten ihn nicht.

Man vergisst die Füße, wenn die Schuhe richtig passen. Man vergisst die Hüfte, wenn der Gürtel richtig passt. Man vergisst Ja und Nein, wenn das Herz richtig ist. Und wenn man im Inneren nicht schwankt und im Äußeren sich nicht nach anderen richtet, sind die Dinge richtig. Erst im Richtigen hat man einen Geschmack von dem, was nicht richtig ist. Das ist das richtige Vergessen des Richtigen. (1)

Zhuangzi

Martina Dargas Übersetzung des Zhuangzi zeigt an diesem Beispiel des arbeitenden Künstlers plastisch das Konzept des Wuwei, des Nicht-Handelns, im Alltag. Der Künstler tut etwas, er passt sich aber vollendet an die Gegebenheiten und die Veränderungen im Äußeren an, nimmt sich zurück und schwimmt mit dem Strom. Auch wird beschrieben, was der Vorteil davon ist. Er braucht in "seinem Herzen" nichts abzuwägen. Der Begriff Herz beinhaltet die Emotionen und das Denken. Er ist nicht "hin- und hergerissen", er schwankt nicht. Er muss nicht Stellung beziehen zu den Dingen. Er ist in Gedanken und Gefühlen geeint. 

Das erzeugt Ruhe im Inneren. Es stört nichts.

 (1) Darga, Martina (Übers.): TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 201, [Zhuangzi, Kap.19, 12. Abschnitt]

 

 

 

 

"Im Daoismus ist man der Ansicht, dass der Mensch durch Erlernen und Kultivieren des Dao das Dao selbst erlangen kann; da das Dao ewig ist, kann der Mensch durch Erlernen und Kultivieren des Dao also auch unsterblich werden."(1)

Chen Yaoting

In früheren Zeiten der Han-Dynastie  (206 v. Chr. - 220 n. Chr.) glaubten viele Menschen durch unterschiedliche Methoden zu körperlicher Unsterblichkeit gelangen zu können. Zu diesen Methoden gehörte auch die äußere Alchemie. Da die Elixiere oft mit quecksilberhaltigen Stoffen hergestellt wurden, führten sie nicht selten zum gegenteiligen Effekt.

Später arbeitete man an einer körperlosen Unsterblichkeit. Dazu wurden zahlreiche Praktiken entwickelt und auch noch heute angewendet. Einige dieser Übungen finden sich im gesundheitsorientierten Qigong wieder. Chen Yaoting ist Mitglied des Instituts für religiöse Studien der Shanghai Academy of Social Sciences, Shanghai, VR China.


(1) Chen, Yaoting: Der Daoismus im heutigen China, in: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2006. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 71

 

 

 

 

"Unter meinen Worten sind neun Zehntel Gleichnisreden; das heißt, ich bediene mich äußerer Bilder, um meine Gedanken auszudrücken...Daß ich zu diesem Mittel greifen muß, ist aber nicht mein Fehler, sondern der Fehler der andern. Wer eins mit uns ist, wird uns verstehen; wer nicht eins mit uns ist, wird uns widersprechen. Denn jeder billigt das, was ihm entspricht, und tadelt das, was von ihm abweicht."(1)

Zhuangzi

Die Rede in Gleichnissen ist in der chinesischen Geistesgeschichte beliebt. Das Buch Zhuangzi ist allerdings voll davon. Er möchte das Unsagbare, die endgültige Wahrheit "durchscheinen" lassen, auch für diejenigen, die ihr eher fern sind: für die, die "uns widersprechen". (2)

(1) Wilhelm, Richard: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland/Dschuang Dsi. München: Hugendubel 2002, S. 285

(2) vgl. Pohl, Karl-Heinz: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2013. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 55


 

 

 

 

"Die unzähligen Dinge haben unzählige verschiedene Formen, aber zuletzt sind sie alle eins. Wie werden sie eins? Der Grund liegt im wú."(1)

Wáng Bi (226 - 249)

Wú: Nichtsein, Nichts. Wesen und Urgrund der Dinge

Wáng Bi gehört zu den Begründern des Neo-Daoismus, der Schule des Geheimnisvollen. Die Grundlage seiner Weltsicht ist: "Das Nicht-Sein die Wurzel - Das Sein die Blüte"(2).

  (1) Ommerborn, Wolfgang (Übers.): Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2008. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 61 [Laozi Daodejing Zhu, Kap. 42](2) ebd., S. 61

 

 

 

 

 

"Der Weise reagiert zwar emotional auf die äußeren Dinge und Ereignisse, verstrickt sich aber nicht darin."

Wang Bi

Wang Bi (226-249) ist einer der Begründer der Schule des Neo-Daoismus, der Schule des Geheimnisvollen: Der Weise hält nicht an seinen Gefühlen fest. Er ist nicht erhaben über das natürliche Aufkommen von Emotionen, lässt sie aber nach ihrem Erscheinen vollkommen gehen.(2)

 
(1) Ommerborn, Wolfgang (Übers.): Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2008. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 61 [Sanguo Zhi, Kap. 28]

(2) vgl. Ommerborn, Wolfgang: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2008. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 61 

 
 
 
 
 
 
"Hüte sorgsam dein Selbst, so wird das äußere Wesen von selber stark."(1)
Zhuangzi
 
Zhuangzi spricht vom Schutz und der Kultivierung des Inneren, Schutz vor äußeren Einflüssen. Auch ein Übermaß an Anhäufung von erlernbarem Wissen bringt ab vom Weg zum Dao: "Viele Erkenntnis führt zum Verfall"(2)

(1)Wilhelm, Richard: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland/Dschuang Dsi. München: Hugendubel 2002, S. 121

(2) ebd., S. 121

 
 
 

 

Laozi 42

Der SINN [entspricht Dao I.K.] erzeugt die Eins.
Die Eins erzeugt die Zwei.
Die Zwei erzeugt die Drei.
Die Drei erzeugt alle Dinge.
Alle Dinge haben im Rücken das Dunkle
und streben nach dem Licht,
und die strömende Kraft gibt ihnen Harmonie. (1)
 
In der Einheit des Dao bestehen noch keine Gegensätze, so Wilhelm. Sie sind noch ungetrennt. Aus dieser entstehen nichtmaterielle Gegensatzpaare, die „Eins“, eine These, es folgt die Antithese, die „Zwei“, und daraus wird die „Drei“, die sichtbare Welt. Derartige Gegensatzpaare seien z.B. Licht und Finsternis, Positives und Negatives, Männliches und Weibliches. (2)

(1) Wilhelm, Richard: Tao Te King. Das Buch vom Weg des Lebens. München: Eugen Diederichs 1978, S. 89

(2) vgl. ebd., S. 38

 

 

 

Über das Sitzen in Vergessenheit aus dem Kommentar von Guo Xiang (253? -312) zum Zhuangzi:

"Wenn du diese Vergessenheit praktizierst, wie kann es da etwas geben, was nicht vergessen ist? Zunächst vergiss alle Spuren in dir, und dann vergiss auch das, was die Spuren hervorruft. In deinem Inneren nimm nichts von dir selbst wahr und im Äußeren wisse nichts von einem Weltall. Nur dann wirst Du offen sein um mit den Wandlungen eins zu werden und alles zu durchdringen." (1)[Kap. 8, S. 39a]  (1) Darga, Martina (Übers.): TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 220In der Zen-Meditation wird die eigene Bewegung zunächst nach außen gerichtet und kehrt später ins Innere zurück. In der daoistischen Meditation "Sitzen in Vergessenheit", richtet man seine Bewegung mehr und mehr in das Innere bis man letztendlich mit dem großen Einen, dem Dao, verschmilzt, zur "mystischen Einheit" gelangt.(2)(2)vgl. Kohn, Livia: Sieben Stufen der daoistischen Meditation. Das Zuowanglun. Uelzen: ML 2010, S. 65 

   


"Daß Ochsen und Pferde vier Beine haben, das heißt ihre himmlische (Natur). Den Pferden die Köpfe zu zügeln und den Ochsen die Nasen zu durchbohren, das heißt menschliche (Beeinflussung). Darum heißt es: Wer nicht durch menschliche Beeinflussung die himmlische Natur zerstört, wer nicht durch bewußte Absichten sein Schicksal stört, wer nicht um des Gewinnes willen seinen Namen schädigt, wer sorgfältig sein Eigenes wahrt und nicht verliert: der kehrt zurück zu seinem wahren Wesen."(1)

Zhuangzi

Mit absichtslosem Handeln ist "Ziran" gemeint: aus sich selbst heraus, automatisch, dem Lauf der Dinge folgen.


(1)Wilhelm, Richard: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland/Dschuang Dsi. München: Hugendubel 2002, S. 186

 

 

 

 

"Seit Anbeginn der Weltgeschichte gibt es niemand auf der Welt, der nicht durch die Außendinge sein Wesen verschieben ließe. Der Gemeine gibt sein Leben um des Gewinnes willen, der Richter gibt sein Leben her um des Ruhmes willen; der Heilige gibt sein Leben her um der Welt willen. Alle diese Herren stimmen zwar nicht überein in ihren Beschäftigungen und nehmen einen verschiedenen Rang ein in der Schätzung der Menschen, aber was die Verletzung der Natur und die Preisgabe des Lebens anlangt, darin sind sie sich gleich."

Auch der Altruismus des Heiligen geht vorbei an der Natur und damit vorbei den Gesetzmäßigkeiten des Dao, insofern er lediglich auf einer Idee basiert. Gefordert ist vielmehr der Blick nach innen, das Horchen auf den eigenen Weg. Ein selbstloses Verhalten auf der Basis der gewonnenen Einsichten in die eigene Natur bleibt davon unberührt.

(1)Wilhelm, Richard: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland/Dschuang Dsi. München: Hugendubel 2002, S. 106

 

 

 

"Das Wissen der Alten war vollkommen. Wie vollkommen? Erst wußten sie nicht, daß es Dinge gab. Das ist das vollkommenste Wissen; nichts kann ihm hinzugefügt werden. Dann wußten sie, daß es Dinge gab, aber sie setzten noch keinen Unterschied zwischen ihnen. Dann unterschieden sie zwischen ihnen, aber sie urteilten nicht über sie. Als Urteile gefällt wurden, wurde das Tao zerstört."(1)

Die Bewusstwerdung der Wirklichkeit als Undifferenziertheit kommt der Wahrheit am nächsten. Dinge daraus hervorzuheben, bedeutet künstliche Abgrenzung zu schaffen. Urteile zu fällen, meint, wie an anderer Stelle bereits erwähnt, sich dazu zu positionieren, Vorlieben und Abneigungen zu entwickeln. Das Dao selbst bleibt natürlich bestehen, aber der Kontakt zum Dao, der Fluss mit den Naturgesetzlichkeiten wird behindert, also das Dao im Sinne von der "Weg" wird zerstört.

(1)  Fung Yu Lan (Übers.): Chuang-Tzu. A New Selected Translation. The Commercial Press, Shanghai 1933. Nachdr. Paragon Book Reprint Corp.., New York 1963, S. 53, zit. nach Watts, Alan:  Der Lauf des Wassers. Frankfurt a.M. u.a.: Insel 2003, S. 89

 

 

 

"Mit einem Brunnenfrosch kann man nicht über das Meer reden, er ist beschränkt auf sein Loch. Mit einem Sommervogel kann man nicht über das Eis reden, er ist begrenzt durch seine Zeit. Mit einem Fachmann kann man nicht vom LEBEN reden, er ist gebunden durch seine Lehre." (1)


Zhuangzi spricht die Schwierigkeiten an, größere Zusammenhänge zu überblicken. Erwähnt ist die Beschränkung von Raum, Zeit und Wissen. Hier ist das Alltagswissen gemeint, das man aus Büchern lernen kann. Diese "Lehren" hindern eher den Blick für das große Ganze, weil sie gewisse Festlegungen erzeugen, Grenzen schaffen im Denken. Um sich einen realistischen Überblick über das LEBEN, also auch über sich selbst verschaffen zu können, ist andere Einsicht notwendig.

(1)Wilhelm, Richard: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland/Dschuang Dsi. München: Hugendubel 2002, S. 180

 

 

 

"Der SINN liebt nicht die Geschäftigkeit. Geschäftigkeit führt zu Überlastung; Überlastung führt zur Unruhe; Unruhe führt zu Sorgen, und mit Sorgen ist man rettungslos verloren. Die höchsten Menschen der alten Zeit behielten den (SINN) für sich, und dann erst suchten sie ihn unter den Menschen aufrechtzuerhalten. Wenn man mit sich selbst noch nicht im reinen ist, wie will man da noch Zeit finden, sich mit dem Wandel von Tyrannen abzugeben!"(1)

Eine Anleitung für den Weg zum Dao (bei Wilhelm SINN). Einfacher ist es, das Dao in Zurückgezogenheit zu finden, übertriebene Besorgung von Geschäften, vermeintlichen Notwendigkeiten, Aktivitäten ist hinderlich. Ist der dem Dao angenäherte Zustand stabilisiert, kann man versuchen, ihn im Trubel des Alltags aufrechtzuerhalten.

(1)Wilhelm, Richard: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland/Dschuang Dsi. München: Hugendubel 2002, S. 59

 

 

 

"Wer daher höchste Weisheit besitzt, der überschaut in der gleichen Weise das Ferne und das Nahe, so daß das Kleine für ihn nicht gering und das Große nicht wichtig erscheint; denn er erkennt, daß es keine festbegrenzten Maßstäbe gibt."(1)

Bewertungen und Maßstäbe sind in ständigem Wandel. Das weit Entfernte erscheint dem Auge klein, ist es aber in Wirklichkeit nicht. Wer weise ist, weiß um die optische Täuschung und lässt sich in seiner Beurteilung davon nicht beeinflussen. Er hebt einzelne Dinge der Welt anderen gegenüber nicht hervor.

(1)Wilhelm, Richard: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland/Dschuang Dsi. München: Hugendubel 2002, S. 181

 

 

 

"[…]Du stehst in Gefahr, das Äußerliche zu wichtig zu nehmen; aber was an mir äußerlich hervortritt, das ist im selben Augenblick schon vergangen, und wenn Du darnach suchst und meinst, Du könntest es besitzen, so ist das ebenso, als wolltest Du ein Pferd suchen auf dem Marktplatz (wo es einst zum Verkauf stand). […] Dennoch, warum willst Du Dich darüber kümmern? Obwohl das sterbliche Ich der Vergessenheit anheimfällt, ist in meinem Ich doch etwas, das nicht der Vergessenheit anheimfällt, sondern dauert."(1)

Zhuangzi thematisiert die ständige Veränderlichkeit aller Manifestationen des Selbst und die zwangsläufig damit verbundene Illusion einer Identifikation mit irgendeiner äußerlichen Eigenschaft. Er spendet dennoch Trost in der Überzeugung eines bleibenden "Etwas". 

(1)Wilhelm, Richard: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland/Dschuang Dsi. München: Hugendubel 2002, S. 221

 

 

 

"Wer daher höchste Weisheit besitzt...durchdringt mit seinem Blick Vergangenheit und Gegenwart, so daß er dem Vergangenen nicht nachtrauert und ohne Ungeduld die Gegenwart genießt."(1)

Zhuangzi spricht über die Zeit. Alles ist in ständiger Bewegung und Veränderung.(2) Das erinnerte, unbewegte Standbild einer Situation in unserem Kopf ist dem Verarbeitungsvorgang unserer Sinneswahrnehmungen im Gehirn geschuldet, aber eine Illusion.(3) Es entspricht nicht der Wirklichkeit. Daher lässt sich nichts festhalten. Das dauernde Strömen der Welt verlangt im Umgang mit den Herausforderungen des Jetzt eine innere Haltung der Offenheit und Flexibilität, um sich auf die jeweils neue, gewandelte Situation der Gegenwart einstellen zu können, aber auch ein vorausschauendes Agieren in der Interaktion mit der Umwelt, das die permanenten Fluktuationen einbezieht. Salopp gesagt: "Drum prüfe, wer sich ewig bindet" in jedweder Hinsicht.

Für die Gegenwart gelte das Ernten ihrer Früchte. Dabei solle ein "Sich-Recken" zu weiteren, zukünftigen Optionen gelassen werden.(4)

(1)Wilhelm, Richard: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland/Dschuang Dsi. München: Hugendubel 2002, S. 181

(2) vgl. ebd., S. 181

(3) vgl. Scobel, Gert: WEISHEIT. Über das, was uns fehlt. Köln: Dumont 2008, S. 26 f.

(4) vgl. Wilhelm, Richard: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland/Dschuang Dsi. München: Hugendubel 2002, S. 181 u. S. 308



 

Über den „berufenen Heiligen“ 

„…Die Dinge der Welt vermögen sein Herz nicht zu stören, darum ist er still. Ist das Wasser stille, so spiegelt es klar jedes Härchen[…]Das Herz des Berufenen ist stille; darum ist es der Spiegel von Himmel und Erde.“ (1)

Der Heilige hält sich fern von den Geschäften und dem Getriebe der weltlichen Angelegenheiten oder hängt sein Herz nicht an weltliche Dinge, also macht sich nicht abhängig von ihnen, haftet ihnen nicht an. Das stille Herz eines Menschen ist in der Lage, die Bewegungen und Zustände der höheren Bereiche von Himmel und Erde darzustellen, sich größeren kosmischen Zusammenhängen anzupassen.

 
(1)Wilhelm, Richard: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland/Dschuang Dsi. München: Hugendubel 2002, S. 145

 

 

 

"Worte sind doch kein bloßer Hauch! Wer redet, muß auch etwas zu sagen haben. Wenn einer alles, was er redet, absichtlich im Unbestimmten läßt: hat er dann wirklich etwas zu sagen, oder hat er nicht vielmehr nichts zu sagen? Er meint wohl, daß seine Worte verschieden sind vom Piepen eines Kückens. Ist da wirklich ein solcher Unterschied, oder ist da kein Unterschied?"(1)

Zhuangzi lässt sich hier über Menschen aus, die den Kontakt zu ihrem Wesen, ihrer Gefühlswelt verloren haben, sich aber trotzdem Urteile über Recht und Unrecht anmaßen und außerdem über Umnebelung durch "Phrasenschmuck".(2)

(1)Wilhelm, Richard: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland/Dschuang Dsi. München: Hugendubel 2002, S. 42

(2)vgl. ebd., S. 41 f.


 

 

4. Der Totenschädel 

Dschuang Dsi sah einst unterwegs einen leeren Totenschädel, der zwar gebleicht war, aber seine Form noch hatte. Er tippte ihn an mit seiner Reitpeitsche und begann also ihn zu fragen: „Bist du in der Gier nach Leben von dem Pfade der Vernunft abgewichen, dass du in diese Lage kamst? Oder hast du ein Reich zugrunde gebracht und bist mit Beil oder Axt hingerichtet worden, dass du in diese Lage kamst? Oder hast du einen üblen Wandel geführt und Schande gebracht über Vater und Mutter, Weib und Kind, dass du in diese Lage kamst? Oder bist du durch Kälte und Hunger zugrunde gegangen, dass du in diese Lage kamst? Oder bist du, nachdem des Lebens Herbst und Lenz sich geendet, in diese Lage gekommen? 

Als er diese Worte geendet, da nahm er den Schädel zum Kissen und schlief. Um Mitternacht erschien ihm der Schädel im Traum und sprach: „Du hast da geredet wie ein Schwätzer. Alles, was du erwähnst, sind nur Sorgen der lebenden Menschen. Im Tode gibt es nichts derart. Möchtest du etwas vom Tode reden hören?“ 

Dschuang Dsi sprach: „Ja.“ 

Der Schädel sprach: „Im Tode gibt es weder Fürsten noch Knechte und nicht den Wechsel der Jahreszeiten. Wir lassen uns treiben und unser Lenz und Herbst sind die Bewegungen von Himmel und Erde. Selbst das Glück eines Königs auf dem Throne kommt dem unseren nicht gleich.“ Dschuang Dsi glaubte ihm nicht und sprach: „Wenn ich den Herrn des Schicksals vermöchte, dass er deinen Leib wieder zum Leben erweckt, dass er dir wieder Fleisch und Bein und Haut und Muskeln gibt, dass er dir Vater und Mutter, Weib und Kind und alle Nachbarn und Bekannten zurückgibt, wärst du damit einverstanden?“ Der Schädel starrte mit weiten Augenhöhlen, runzelte die Stirn und sprach: „Wie könnte ich mein königliches Glück wegwerfen, um wieder die Mühen der Menschenwelt auf mich zu nehmen?“ (1)

Zhuangzi (Dschuang Dsi) spricht über Leben und Tod. Offensichtlich gibt es etwas nach dem Tod, seiner  Meinung nach, und dieses "Dasein" sei deutlich glücklicher und weniger von Mühsal geprägt als unsere weltliche Existenz. Inaktivität, also Ruhe, Sich-Treiben-Lassen, die Aufhebung von Gegensätzen und Wandel, also Bewegung, sind seine Eigenschaften. 

 (1) Wilhelm, Richard: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland/Dschuang Dsi. München: Hugendubel 2002, Buch XVIII

 

 

 

"Konfuzius schloss sich für drei Monate bei sich ein. Dann kehrte er zu Laozi zurück: Jetzt habe ich es gefunden, sagte er ihm. [...] Lange habe ich mich gegen die Verwandlung gesträubt! Und dabei wollte ich die anderen verwandeln! - Nun hast du es begriffen!, sagte Laozi."(1)

Zhuangzi


Laozi ist die Pinyin-Umschrift für Laotse. In der klassischen Literatur werden die beiden Philosophen Konfuzius (um 500 v. Chr.) und Laozi gerne als Gegenspieler im Sinne der Leitfiguren des Daoismus und Konfuzianismus dargestellt. Tatsächlich ist eine Existenz Laozis ungewiss. Zhuangzi schlägt sich hier klar auf eine Seite. Der Streit geht um die Methodik der Konfuzianer, die durch Einübung von Riten, moralischer Bildung des Volkes, strengen Strukturen von Hierarchie für das gesellschaftliche Leben und das soziale im Kleinen einen Rahmen schaffen wollten, der die Gemeinschaft auf einen positiven Weg bringt. Die Starrheit und Fremdsteuerung dieses Ansatzes erlaubt natürlich nicht die stetige individuelle Anpassung an wechselnde und sich permanent wandelnde Umstände, wie es der Ansatz des Zhuangzi darstellt. Tatsächlich wirkt die Philosophie des Konfuzius und seiner Nachfolger noch bis in das heutige China hinein.

(1) Billeter, Jean Francois: Das Wirken in den Dingen. Berlin: Matthes & Seitz 2017, S. 119 [Zhuangzi Kap. 14]

 

 

 

Andererseits machen die, die das Tao verstehen, es gerne wie die Katzen: Sie sitzen einfach da und gucken, ohne an ein Ziel oder Resultat zu denken. Aber wenn eine Katze das Sitzen satt hat, steht sie auf und geht spazieren oder jagt Mäuse. Sie bestraft sich nicht, noch konkurriert sie mit anderen Katzen...

Das Rauschen des Wassers

spricht, was ich denke.(1)


 

Alan Watts umschreibt hier überaus plastisch die chinesischen Begriffe des "Ziran" (von selbst so sein) und des "Wuwei" (des Nicht-Handelns)

(1) Watts, Alan:  Der Lauf des Wassers. Frankfurt a.M. u.a.: Insel 2003, S. 131

 

 

 

Über die gleichbleibende Wiederholung - Tai Chi- und Qi Gong-Formen als Lebenskonzept

"Die Form bietet in einer unsicheren Welt eine bestimmte Sicherheit, Regelmäßigkeit und Gewissheit...Viele meiner Schülerinnen und Schüler sagen, am meisten schätzten sie an ihrem Unterricht, dass er ihnen vorkomme wie das Auge des Zyklons - eine Oase der Ruhe und Stille inmitten des rasenden Sturms ihres Lebens. Sie finden es beruhigend und erleichternd, nicht ständig überrascht zu werden." (1)

 (1)Lehrhaupt, Linda, Myoki: Stille in Bewegung: Tai Chi und Qigong. Berlin: Theseus 2001, S. 178 

  

 

 

   

Laotse bei Ringelnatz

"Klimmzug
 
Das ist ein Symbol für das Leben.
Immer aufwärts, himmelan streben!
Feste zieh! Nicht nachgeben!
Stelle dir vor: Dort oben winken
Schnäpse und Schinken.
Trachte sie zu erreichen, die
Schnäpse.
Spanne die Muskeln, die Bizepse.
Achte ver die Beschwerden.
Nicht einschlafen. Nicht müde werden!
Du mußt in Gedanken wähnen:
Du hörtest unter dir einen Schlund gähnen.
In dem Schlund sind Igel und Wölfe versammelt.
Die freuen sich auf den Menschen, der oben bammelt.
Zu! Zu! Tu nicht überlegen.
Immer weiter, herrlichen Zielen entgegen.
Sollte dich ein Floh am Po kneifen,
Nicht mit beiden Händen zugleich danach greifen.
Nicht so ruckweis hin und her schlenkern;
Das paßt nicht für ein Volk von Turnern und Denkern.
Klimme wacker,
Alter Knacker!
Klimme, klimb
Zum Olymp!
Höher hinauf.
Glückauf!
Kragen total durchweicht.
Äh - äh - äh - endlich erreicht.
Das Unbeschreibliche zieht uns hinan.
Der ewigweibliche Turnvater Jahn." (1)

Joachim Ringelnatz
 
In der Abgrenzung werden Dinge oft klarer. Dieses Gedicht beschreibt deutlich, was Wuwei (Nicht-Tun, die Verwendung der Naturkräfte, um seinen Zweck mit größter Sparsamkeit zu erreichen) und Ziran (aus sich selbst heraus, automatisch, dem Weg der Dinge gemäß) nicht ist.
 
Auch wenn Ringelnatz sicherlich an Goethes "Ewig-Weibliche" dachte, hier zum Vergleich Vers 6 des Laotse (Laozi) aus der späten häufig übersetzten Fassung:
 
"Der Geist des Tales stirbt nie.
Er heißt das >>Geheimnisvoll Weibliche<<.
Die Pforte des Geheimnisvoll-Weiblichen
Ist die Wurzel von Himmel und Erde.
 
Beständig, beständig
scheint es zu verharren.
Schöpfe daraus
Und es dient dir mit Leichtigkeit." (2)

und noch Vers 1 des Laozi
 
"Das Tao, über das ausgesagt werden kann,
ist nicht das absolute Tao.
Die Namen, die gegeben werden können,
sind keine absoluten Namen.

Das Namenlose ist der Ursprung des Himmels und der Erde..." (3)
 
(1) Ringelnatz, Joachim: Die Schnupftabaksdose. Köln: Anaconda 2005, S. 20 f.

(2) Lin, Yutang: Die Weisheit des Laotse. Frankfurt a.M.: Fischer 1987, S. 57


(3) ebd.: S. 41

 

    "Wer den Weg (Tao) versteht, beherrscht mit Sicherheit die Grundprinzipien. Wer die Grundprinzipien beherrscht, meistert mit Sicherheit die Umstände. Und wer die Umstände meistert, dem kann kein Ding Schaden zufügen. Wenn ein Mensch vollkommene Tugend (te) hat, kann kein Feuer ihn brennen, kein Wasser ertränken, Kälte und Hitze können ihm nichts anhaben, Vögel und Tiere können ihn nicht verletzen. ... Ich sage nicht, daß er diese Dinge leichtnimmt. Ich meine, daß er zwischen Sicherheit und Gefahr zu unterscheiden weiß, mit Glück oder Unglück zufrieden ist und in seinem Kommen und Gehen Vorsicht walten läßt. Daher kann ihm nichts etwas zuleide tun." Zhuangzi(1)


Dieses Zitat verdeutlicht die Intelligenz, Adaptionsfähigkeit, tiefe Einsicht und Umsicht des Menschen, der mit dem Dao (Tao) umzugehen weiß. Zhuangzi spricht nicht von magischen Fertigkeiten.(2)

(1)Watson, Burton (Übers.): Complete Works of Chuang-tzu. New York: Columbia University Press  1968, S. 182, zit. nach Watts, Alan: Der Lauf des Wassers. Frankfurt a.M. u.a.: Insel 2003, S.163 (2) Watts, Alan: Der Lauf des Wassers. Frankfurt a.M. u.a.: Insel 2003, S.163




Zur Entwicklung der inneren Kraft beim Qigong und Tai Chi:


"Die Bewegung sollte in den Füßen wurzeln, durch die Beine freigegeben sowie vom Becken kontrolliert werden und sich durch die Finger manifestieren."(1)

 

Zhang Sanfeng gilt als Begründer des Tai Chi Chuans im vermutlich 13. Jhd. in den Wudang-Bergen. Dieser Text aus dem Werk Tàijíquán Jīng wird dem legendären Kampfkünstler zugeschrieben.

 

(1) Lo, Benjamin Pang Jeng u.a.: The Essence of Tai Chi Chuan: The Literary Tradition. Richmond: North Atlantic 1979, S. 21, zit. nach Lehrhaupt, Linda, Myoki: Stille in Bewegung: Tai Chi und Qigong. Berlin: Theseus 2001, S. 132




"Woher weiß ich, daß die Liebe zum Leben nicht eine Täuschung ist? Woher weiß ich, daß einer, der sich vor dem Tode fürchtet, nicht wie ein Mensch ist, der in jungen Jahren fern seiner Heimat war und deshalb nicht dahin zurückkehren will?... Woher weiß ich, daß die Toten ihre frühere Lebensgier nicht bereuen? Die nachts von einem Gelage träumen, können am nächsten Morgen heulen und wehklagen. Die vom Heulen und Wehklagen träumen, gehen am nächsten Morgen vielleicht auf die Jagd. Wenn sie träumen, wissen sie nicht, daß sie träumen. In ihrem Traum deuten sie vielleicht sogar Träume. Erst, wenn sie erwacht sind, dämmert ihnen, daß sie träumten. Allmählich kommt das große Erwachen, und dann entdecken wir, daß das Leben selbst ein großer Traum ist. Unterdessen glauben die Narren, daß sie wach seien; denn dieses wissen sie. Sie machen spitzfindige Unterscheide zwischen Fürsten und Dienern. Wie närrisch! Konfuzius und du seid beide in einem Traum. Wenn ich sage, daß du in einem Traum bist, so bin auch ich in einem Traum."(1) 

Die Vorstellung von der Welt, bzw. ihre Wahrnehmung als Traum, wird bei Zhuangzi in der Hauptsache auf ihre Vergänglichkeit zurückgeführt.(2)

(1) Fung Yu Lan (Übers.): Chuang-Tzu. A New Selected Translation. The Commercial Press, Shanghai 1933. Nachdr. Paragon Book Reprint Corp.., New York 1963, S. 61-62, zit. nach Alan Watts: Der Lauf des Wassers. Frankfurt a.M./Leipzig: Insel 2003, S. 135 f. 

(2) vgl. Alan Watts: Der Lauf des Wassers. Frankfurt a.M./Leipzig: Insel 2003, S. 136

 

 

 

"...Ein Anstieg von hunderten, tausenden Schritten beginnt unter dem Tritt eines Fußes..."(1)
Laozi, Kap. 64

Möller übersetzt die früheste erhaltene Fassung des Dao De Jing von Laozi, die erst 1973 im Mawangdui-Grab gefunden wurde. Diese Version ist 500 Jahre älter als die bis dahin gebräuchlichen Texte.

(1) Möller, Hans-Georg (Hrsg.): Tao Te King/Laotse. Frankfurt am Main: Fischer 1995, S. 100

 



„Wer das Lernen betreibt,
gewinnt täglich hinzu.
Wer vom Dao hört,
wird täglich geringer.
Geringer werden und wieder geringer werden,
um zum Nicht-Handeln zu kommen.
Nicht-Handeln
und nichts bleibt ungetan...“(1)

In Laozi 48 sieht Hans-Georg Möller im „Hören“ des Dao die Unterweisung in den daoistischen Lehren im Gegensatz zum „Lernen“, das er in den Bereich der Bildung in den konfuzianischen Disziplinen, wie Musik und Riten, einordnet. Darüber hinaus drücke das „Hören“ aber auch das Lauschen nach der eigenen Wesensart der Dinge aus der Stille heraus aus. Auf diese Weise könne der Daoist seine Wahrnehmung fortschreitend schärfen, während der Konfuzianer durch ein Aufblähen durch Wissen immer mehr die „Verankerung“ im Gesamtkontext verliere.


(1) Möller, Hans-Georg (Hrsg.): Tao Te King/Laotse. Frankfurt am Main: Fischer 1995, S. 59
(2) vgl. Möller, Hans-Georg: Laotse. a.a.O., S. 59





So wie das Wasser sich verdichtet
Und zu Eis wird,
so verdichtet sich das Qi,
und der Mensch entsteht.
Schmilzt das Eis,
wird es zu Wasser,
stirbt der Mensch,
kehrt er zum Zustand als Geist zurück.

Chunqiu fanlu, Kap. 62 (2. Hälfte des 2.Jhd. vor Chr.)

Das Werk Chunqiu fanlu (Üppiger Tau der Frühlings- und Herbstannalen) wird Dong Zhongshu zugeschrieben, ein Philosoph, der in Bezugnahme auf die offizielle Chronik des Staates Lu, die Frühlings- und Herbstannalen, (722 v. Chr. bis 481 v. Chr.) ein Essay mit neuen Ideen entwickelte.  

Chunqiu: Frühling und Herbst





Über dem Han Shan – nichts als weiße Wolken
Still und entfernt vom Staub der Welt
Zum SITZEN eine Lage Stroh in meiner Berghütte
Einzige Lampe ist des Mondes helles Rund
Ein Felslager neben dem grünen Teich
Tiger und Hirsch allein sind meine Nachbarn
Wer sich die Freuden eines Lebens in Verborgenheit ersehnt
Muss ein für allemal die Scheinwelt überschreiten

Han Shan: 150 Gedichte vom Kalten Berg, Gedicht 77


Han Shan, benannt nach dem Berg auf dem er lebte, war ein Einsiedler der Tang-Zeit, vermutlich zwischen dem 7.-9. Jhd.. Der Berg Han Shan liegt im Südosten Chinas. Seine Gedichte sind beeinflusst von daoistischen und buddhistischen Gedanken.





11. Aufregung

Der Berufene sucht auch Dinge, die sich erzwingen lassen, nicht zu erzwingen, darum bleibt er frei von Aufregung. Die Menschen der Masse suchen Dinge, die sich nicht erzwingen lassen, zu erzwingen, darum sind sie fortwährend in Aufregung. Weil sie ihrer Aufregung freien Lauf lassen, so haben sie immer etwas zu machen und zu erstreben. Die Aufgeregtheit aber richtet auf die Dauer zugrunde.

Dschuang Dsi, Das wahre Buch vom südlichen Blütenland; Buch XXVII, übersetzt von Richard Wilhelm

Der chinesische Philosoph Dschuang Dsi, in der Umschrift Pinyin Zhuangzi, ist ein Philosoph des 4.-3. Jhd. v. Chr.. Ein in seiner Metaphorik mit überraschenden Wendungen gespicktes Werk kleiner Geschichten, das in seiner Tiefe und dem gleichzeitigen Unterhaltungswert einzigartig ist.






„Zorn verursacht ein gegenläufiges Steigen des Qi, durch Freude wird es zerstreut, bei Trauer verbraucht es sich, Furcht verursacht ein Sinken, Kälte lässt es sich zusammenziehen, Hitze bewirkt ein Ausfließen, Schrecken ruft Unordnung hervor, durch übermäßige Anstrengung erschöpft es sich und Nachdenklichkeit führt dazu, daß das Qi sich zusammenballt.“(1)



Manche Arten von Gefühlen gelten in der traditionellen chinesischen Medizin als schädlich für die Gesundheit, abenso äußere Einwirkungen im Übermaß, so auch Hitze und Kälte. Hier im 2000 Jahre alten Medizin-Klassiker Huangdi Neijing Suwen wird beschrieben, durch welche Qi-Bewegungen dies verursacht wird.
 
(1)Stephan Stein: Zwischen Heil und Heilung. Zur frühen Tradition des Yangsheng in China/ Huangdi Neijing Suwen Jiaoshi, 2Bde, Peking 1992. 39 (Jutong Lun), I, 505. Uelzen: ML 1999, S. 85





Der Schmetterlingstraum

„Einst träumte Dschuang Dschou, dass er ein Schmetterling sei, ein flatternder Schmetterling, der sich wohl und glücklich fühlte und nichts wusste von Dschuang Dschou. Plötzlich wachte er auf: da war er wieder wirklich und wahrhaftig Dschuang Dschou. Nun weiß ich nicht, ob Dschuang Dschou geträumt hat, dass er ein Schmetterling sei, oder ob der Schmetterling geträumt hat, dass er Dschuang Dschou sei, obwohl doch zwischen Dschuang Dschou und dem Schmetterling sicher ein Unterschied ist. So ist es mit der Wandlung der Dinge.“

Wilhelm, Richard: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland/Dschuang Dsi. München: Hugendubel 2002, S.52


Anders als bei Laozi gilt Zhuangzi (geb. um 365 v.Chr., gest. 290 v.Chr.) als geschichtliche Person, als Verfasser, wenn auch nicht des gesamten Buches, so doch in Teilen davon.

Hier spielt Zhuangzi mit den verschiedenen Identitäten, einerseits im Wachzustand, der Realität oder dem, was wir dafür halten, und andererseits in der Wirklichkeit des Traumes. Beide Wirklichkeiten fühlen sich real an, was Zhuangzi durch die Ausschmückungen des Flatterns und Glücks im Traum hervorhebt. In beiden Daseinsformen weiß der Protagonist nichts vom anderen. Hinter diesem Text steht die Frage nach dem „Wer bin ich?“. Denkbar wäre ebenfalls, dass Dschuang Dschou weder er selbst noch der Schmetterling ist, da unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit grundsätzlich in Frage gestellt wird, ähnlich wie in Platons Höhlengleichnis.

Die „Wandlung der Dinge“ spricht die permanente Bewegung, Veränderung und Entwicklung der Dinge an. In diesem Fall ist in Bezug auf die Persönlichkeit kein Bild eines stabilen, klar definierten Ichs vorgesehen.






„Wenn man gelassen und frei von Wünschen ist,
erhält man sich das wahre Qi,
wenn man die geistigen Kräfte im Inneren bewahrt,
wie könnte Krankheit einen dann angreifen.“

Huang Di Neijing Suwen

Das Huang Di Neijing Suwen, der Innere Klassiker des Gelben Fürsten, ist ein medizinisches Werk aus der Han-Dynastie, also ca. 2000 Jahre alt. Das erwähnte wahre Qi setzt sich aus dem Atmungs-Qi aus der Lunge und dem Nahrungs-Qi aus den Nahrungsmitteln zusammen. Dieses wahre Qi ist das Qi, das durch den Organismus des Menschen zirkuliert.
 




"Seit der große Schun die Moral herangezogen hat, um die Welt zu verwirren, rennt die ganze Welt den Geboten der Moral des Rechts und Unrechts nach, und die Moral verschiebt ihr Wesen."(1)

Schun gilt als Gott und gehört zu den legendären Begründern Chinas aus grauer Vorzeit.(2)

(1) Wilhelm, Richard: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland/Dschuang Dsi. München: Hugendubel 2002, S.106

(2) Konfuzius Gespräche -Lunyü-. Wiesbaden: Marix 2013





"Der Geist ist weit und riesenhaft wie der ungeheure Himmel. Laß nicht zu, daß dein Geist sich auf die Leere fixiert, denn sonst fällst Du in eine neutrale Art von Leere. Leere umfaßt Sonne, Mond und Sterne, die große Erde, Berge und Flüsse, alle Bäume und Gräser, gute Menschen und schlechte Menschen, gute Dinge und schlechte Dinge, Himmel und Hölle. Sie alle sind inmitten der Leere. Mit der Leere der menschlichen Natur steht es ebenso."(1)

Huineng, 6. Patriarch des Chan (Zen)-Buddhismus

Huineng lebte im 7./8. Jhd. in China und gilt als Nachfolger des legendären Bodhidharma. Der Text warnt, in der Praxis die Konzentration zu sehr auf ein Nichts zu lenken.

Nach der Definition des indischen Nagarjuna (2. Jhd. n.Chr.), dem Kommentator der "Weisheitssutren" (Prajnaparamita) und Begründer des Madhyamika, des Mittleren Weges des Buddhismus, beschreibe die "Leere" den Umstand, dass die Dinge nicht aus sich selbst heraus existierten, sondern nur in Bezug zu anderen Erscheinungsformen. Alles sei in ständigem Wandel in gegenseitiger Beeinflussung und Abhängigkeit mit anderem, somit kein abgegrenztes Etwas, sondern ein stetiger Prozess.(2) Überdies betrachtet die Madhyamika-Lehre die Logik der Leere lediglich als Methode, das Anhaften wie Gier, Verblendung usw. zu überwinden. Das Konzept der Leere beschreibt also nicht die Wirklichkeit, sondern muss als Übungskonstrukt letztlich hinter sich gelassen werden, um die Realität zu erfahren.(3) 

Das "Werkzeug" der Leere ist lediglich ein mögliches Mittel auf diesem Weg. Es gibt viele andere. So üben wir mit Qigong-Übungen die Kultivierung des Körpers und gehen den Weg des Huainanzi:
„Der Leib ist das, worauf sich das Dao stützt.
Erlangt man den Leib, so erlangt man das Dao.“

(1) zitiert nach Watts, Alan: Der Lauf des Wassers. 1. Aufl.. Franfurt/M., Leipzig: Insel 2003, S. 50

(2) vgl. Pohl, Karl-Heinz: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2013. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 58

(3) vgl. ebd.: S. 60 f.





"Der Mensch wird zuerst in den Beinen und Füßen alt." (1)
  deshalb
"Wenn man älter wird, muss man besonders die Niere üben." (2)

Gemeint ist hier der Funktionskreis Niere, nicht das Organ. Geeignete Übungen sind z.B. die 6. Brokatübung oder die 4. Übung aus der Folge "Wandle Muskeln und Sehnen und bewege das Qi" aus dem Neiyanggong.

1) Engelhardt, Ute, Hildenbrand, Gisela, Zumfelde-Hüneburg, Christa: Leitfaden Qigong. 1. Aufl. Urban und Fischer 2007
2) Jiao Guorui: Die 15 Ausdrucksformen des Taiji-Qigong. 6.Auflage. Medizinische Literarische Verlagsgesellschaft 2001





Ich steige, steige auf dem Han Shan WEG
Die Reise zum Han Shan nimmt nie ein Ende
Die Schlucht entlang über Felsbrocken, Steine, Steine
Durch nebeldunkles Gras im weiten Tal
Das Moos ist glitschig, nicht nur wenn es regnet
Die Föhren knarren, doch es geht kein Wind
Wer kann sich befreien aus den Verstrickungen der Welt
Mit mir zu SITZEN zwischen weißen Wolken? (1)


Han Shan (Kalter Berg) war ein Einsiedler auf dem gleichnamigen Berg im Südosten Chinas. Seine Gedichte wurden lange nach seinem Tod gesammelt und veröffentlicht. Gelebt hat er zwischen dem 7.und 9. Jhd.. Mit "SITZEN" ist die Sitzmeditation gemeint, die als Methode zur Lösung aus den "Verstrickungen der Welt" angewandt wird.

(1) Han Shan: 150 Gedichte vom Gelben Berg. München: Diederichs 1992, Gedicht 47





„Der Leib ist das, worauf sich das Dao stützt.
Erlangt man den Leib, so erlangt man das Dao.“
Huainanzi (1)

Das Huainanzi ist ein, unter der Leitung von Liu An, 180-122 v. Chr., dem Prinzen von Huainan, geschriebenes Werk, wonach die Kultivierung des Körpers den Übenden dem Dao nahe bringt.

Der Geist und die Ausprägung des Materiellen sind abhängig voneinander. Wird der Körper entwickelt, entwickelt sich das Ganze.

(1) Stein, Stefan: Huainanzi 11. In: Zwischen Heil und Heilung: zur frühen Tradition des Yangsheng in China. Uelzen: ML 1999, S. 9





"Wann immer ein Mensch etwas tun will, soll er diese Handlung erst an den Geboten des Dao messen. Er soll sie ruhig einschätzen, um festzustellen, ob das Prinzip dieser Handlung nicht dem Dao widerspricht. Erst dann soll er sie ausführen, damit das Dao des Lebens sich nicht von ihm entfernt."(1)

aus dem Xiang`er-Kommentar des Daode jing (Laotse), 3. Jhd. nach Chr.

(1)Zitiert nach Bokenkamp, Stephen R.: Early Daoist Scriptures. Berkeley 1997, S.100. in
Darga, Martina (Übers.): TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 188





Das Leiden der Brauchbarkeit

In Sung ist ein Platz namens Dornheim. Dort gedeihen Katalpen, Zypressen und Maulbeerbäume. Die Bäume nun, die ein oder zwei Spannen im Umfang haben, die werden abgehauen von den Leuten, die Stäbe für ihre Affenkäfige wollen. Die, die drei, vier Fuß im Umfang haben, werden abgehauen von denen, die nach Balken suchen für prächtige Häuser. Die mit sieben, acht Fuß Umfang werden abgehauen von den vornehmen und reichen Familien, die Bretter für ihre Särge suchen. So erreichen sie alle nicht ihrer Jahre Zahl, sondern gehen auf halbem Wege zugrunde durch Axt und Beil. Das ist das Leiden der Brauchbarkeit.
In einem alten Opferbuch heißt es, dass Rinder mit weißen Stirnen, Schweine mit langen Rüsseln und Menschen, die an Geschwüren leiden, dem Flussgott nicht geopfert werden dürfen. Alle Priester wissen das und halten jene Eigenschaften darum für unheilvoll. Der Mann des Geistes aber hält gerade sie für segensreich. (1)

Zhuangzi

Ein Appell für den eigenen, ganz persönlichen Weg, ausgerichtet nach der jeweiligen Wesensnatur und nicht fremdbestimmt. Die Suche nach Ruhm, Anerkennung und Reichtum verleiten den mit zahlreichen Begabungen ausgestatteten Menschen, sich und seine Fähigkeiten von den Mitmenschen ausbeuten zu lassen und seine Kräfte zu verausgaben. Ein Unbegabter hat es da leichter. Er wird erst gar nicht in Versuchung geführt. Eine originelle und immer noch relevante Sichtweise auf Leistungsfähigkeit, Hochbegabung und die Sinnfrage der Existenz. 

(1)Wilhelm, Richard: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland/Dschuang Dsi. München: Hugendubel 2002





„Von meinem Lehrer habe ich gelernt, dass, wenn man sich mit dem Gemeinen abgibt, man wieder gemein handeln muss!“(1)

Hier wird die Geschichte erzählt, in der Zhuangzi sich aus seiner Abgeschiedenheit und dem Zustand der Selbstvergessenheit und Einkehr heraus zur Ablenkung durch Außendinge, nämlich einem Spaziergang im Park, hinreißen lässt, wodurch er die Einheit mit seinem wahren Wesen verlor, was letztlich zu Verwicklungen mit der Außenwelt (Konflikt mit einem Waldhüter) führte. Daher mied Zhuangzi in Folge den Besuch seines Hofes und verweilte in der Zurückgezogenheit.

(1) Maspéro, Henri: Melange posthume II, Le Taoïsme/Dschuang Dsi, S. 215 f.. In: Kaltenmarck, Max: Lao-Tzu und der Taoismus. Frankfurt am Main: Insel 1996, S. 159





Einst träumte Dschuang Dschou, dass er ein Schmetterling sei, ein flatternder Schmetterling, der sich wohl und glücklich fühlte und nichts wusste von Dschuang Dschou. Plötzlich wachte er auf: da war er wieder wirklich und wahrhaftig Dschuang Dschou. Nun weiß ich nicht, ob Dschuang Dschou geträumt hat, dass er ein Schmetterling sei, oder ob der Schmetterling geträumt hat, dass er Dschuang Dschou sei, obwohl doch zwischen Dschuang Dschou und dem Schmetterling sicher ein Unterschied ist. So ist es mit der Wandlung der Dinge.

Zhuangzi ca. 300 v. Chr.



Die dem grundlegenden Naturgesetz des steten Wandels unterworfene Identität des Menschen, die irreführende Vorstellung von einem klar umrissenen, dauernden Ich, die bereits im Traum eine plötzliche und grundlegende Erschütterung erfahren kann, sind Thema beim bedeutenden Philosophen Zhuangzi, einem der berühmtesten Vertreter der alten chinesischen Philosophie.


Wilhelm, Richard: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland/Dschuang-Dsi. München: Hugendubel 2002, Buch II





Wu Wei an einem sonnigen Wintertag

Die Luft ist klar, die Welt ist still.

Eiskristalle ruhen einmütig und friedlich auf einem Zweig,
um sich im warmen Licht zu sonnen.
Im Sonnenlicht funkeln sie wie Diamanten, weiß, blau, gelb und rot.
Sie lächeln dem Sonnenlicht entgegen. Sie lächeln mir zu.

Ich frage einen Eiskristall: „Wie kannst Du so gelassen bleiben,... es taut?"

Es taut.

Wassertropfen ruhen einmütig und friedlich auf einem Zweig,
um sich im warmen Licht zu sonnen.
Im Sonnenlicht funkeln sie wie Diamanten, weiß, blau, gelb und rot.
Sie lächeln dem Sonnenlicht entgegen. Sie lächeln mir zu.

Ich lächle ihnen zu.(1)

Unbekannter Autor

(1) Tai Chi Zentrum Koblenz: URL<https://tai-chi-chuan.com/institution.> (Abruf 10.04.2020)

Das beliebte Thema des steten Wandels in der alten chinesischen Philosophie findet Eingang in dieses zeitgenössische Gedicht, das Eingebettet-Sein in größere Zusammenhänge, die sich unserer direkten Lenkung entziehen. Verbunden mit einem gehörigen Maß an Demut ist die vertrauensvolle Hingabe an die größeren Zusammenhänge der Weg, Umbrüche in Anpassung an die sich verändernden Verhältnisse in Ruhe zu vollziehen.

Also kurz gesagt: Vertrauen, Hingabe, Anpassung





Die Verantwortung für sich selbst ist die Wurzel jeder Verantwortung.

Mengzi, (372 - 289 v. Chr.), konfuzianischer Philosoph

Das Werk des Konfuzius selbst ist ein vergleichsweise kleines Werk. Eine philosophische Ausarbeitung des Ansatzes wurde in späteren Jahrhunderten durch andere deutlich erweitert. Ein bedeutender Nachfolger des Konfuzius in Mengzi, auch Menzius genannt. Erst hunderte Jahre nach Konfuzius Tod konnten seine Thesen die Bedeutung im Staatswesen erlangen, die er sich zu Lebzeiten vergeblich gewünscht hatte. Noch heute sind die Spuren des konfuzianischen Denkens in der chinesischen Gesellschaft deutlich spürbar.





Wie in einer alten Geschichte überliefert wird, fragte einmal ein Fürst des frühen China seinen Arzt, der aus einer Heilerfamilie stammte, welcher von Ihnen in der Heilkunst am meisten bewandert wäre.
Der Arzt, dessen Ruf so gut war, daß sein Name gleichbedeutend mit der Heilkunst in China war, antwortete: "Mein ältester Bruder sieht den Geist der Krankheit und entfernt ihn, bevor er Gestalt annimmt, daher dringt sein Name nicht über das Haus hinaus.
Mein älterer Bruder heilt Krankheiten, wenn sie noch kaum in Erscheinung treten, daher dringt sein Name nicht über die Nachbarschaft hinaus.
Was mich betrifft, so punktiere ich Venen, verschreibe Arzneien und massiere die Haut, daher dringt mein Name manchmal bis in die Ferne und an die Ohren der Herrscher."(1)

Eine Erzählung aus dem alten China. Dazu schreibt ein Kommentator aus der Ming-Dynastie (1368 bis 1644): "Genau das ist es, was für Führer, Generäle und Minister beim Regieren ihrer Länder und Befehligen ihrer Armeen wesentlich ist."(2)

(1) Cleary, Thomas (Hrsg.): Wahrhaft siegt, wer nicht kämpft. Die Kunst des Krieges/Sunzi. Übers. Ingrid Fischer-Schreiber. 4. Aufl. München: Piper 2003, S.11

(2) ebd., S. 11





"Plane etwas Schwieriges, solange es noch leicht ist, tu, was groß ist, solange es klein ist. Die schwierigsten Dinge in der Welt müssen getan werden, wenn sie noch leicht sind; die größten Dinge in der Welt müssen getan werden, während sie noch klein sind. Aus diesem Grund tun die Weisen nie, was groß ist, und dies ist es, warum sie jene Größe erlangen können."
Laozi 63

vgl.: Cleary, Thomas (Hrsg.): Wahrhaft siegt, wer nicht kämpft. Die Kunst des Krieges/Sunzi. Übers. Ingrid Fischer-Schreiber. 4. Aufl. München: Piper 2003, S.12





"Die Meisterschaft der inneren Natur zielt auf die Verfeinerung des Geistes ab, um ihn zurück zum eigenen Ursprung zu führen. Und sei aktiv: Der Geist beinhaltet Qi. Die Meisterschaft der Lebenspflege konzentriert sich auf die Verfeinerung des Qi in dem Bewusstsein, dass Qi Geist enthält. Tatsächlich können beide nicht voneinander getrennt werden..."(1)

Wang Liping

Wang Liping ist einer der bekanntesten Meister der Inneren Alchemie des heutigen China. In der von Livia Kohn herausgegebenen Übersetzung seines Unterrichts aus dem Chinesischen von Mark Bartosh gibt er tiefe Einblicke in die, im Westen immer noch geheimnisumwobene, Praxis und Hintergründe dieser Technik. Obiges Zitat wurde von mir aus dem Englischen übersetzt.

Die Vorzüge einer Aktivität in Maßen lässt sich durch die Erfahrungen der benediktinischen Mönche und Nonnen vergangener Jahrhunderte belegen. Es gab Zeiten, in denen wohlhabende Ordinierte sich ausschließlich den geistigen Übungen widmeten, was sich letztlich nicht bewährte. So wie das "labora" und der Gesang der gregorianischen Choräle das Qi der Nonnen und Mönche in den benediktinischen Klöstern bewegt, so aktivieren die Qi-Übungen, zu denen auch die Qigong- und Tai Chi-Übungen gehören, den Geist und das Qi der Adepten der verschiedenen Schulen des Daoismus.

Die fortgeschrittenen Methoden der Inneren Alchemie können ausschließlich unter Begleitung äußerst erfahrener und speziell geschulter Lehrer praktiziert werden, da bereits kleine Fehler im Fortgang der Entwicklung massiven körperlichen Schaden anrichten können. Infolgedessen dürfen solche Übungen keinesfalls im Selbststudium genutzt werden. Gerne könnt Ihr mich fragen, wenn Ihr im Zweifel seid, ob eine Technik gefahrlos zu praktizieren ist. info@qigongkoeln.de

(1) Wang, Liping: Daoist Internal Mastery. St. Petersburg: Three Pines Press 2019, S. 15

 

 

Yan Hui über das Sitzen in Vergessenheit

"Ich lasse meine Gliedmaßen fahren, entlasse Blick und Gehör, verlasse Körper und Bewusstsein und bin vollkommen gelöst. Das nenne ich im Vergessen sitzen.

Da erklärte Konfuzius: Wenn du alle Fesseln los bist, hast du keine Vorlieben mehr. Wenn du allen Verwandlungen der Wirklichkeit folgst, bist du völlig unbefangen. Du bist ein Weiser geworden. Erlaube, dass ich Qiu, nun dein Schüler werde."(1)

Zhuangzi

Der Protagonist Yan Hui beschreibt hier seine spezielle Meditationstechnik, das Sitzen in Vergessenheit. Eine andere Übung in Ruhe im daoistischen Zusammenhang beinhaltet im Gegensatz dazu die Beobachtung der Gedanken und Bewegungen im Körper. Die Äußerungen des Konfuzius zeigen uns, dass es um Freiheit geht, das Lösen aller Fesseln, also um Unabhängigkeit von allem. Der Indikator für das Gelingen ist die Abwesenheit von Vorlieben. Sind die Vorlieben verschwunden, hält man weder an Vergangenem fest, noch strebt man zielgerichtet, geleitet von seinen Vorlieben, in die Zukunft, sondern folgt dem ständigen Wandel der Welt.

(1) Billeter, Jean Francois: Das Wirken in den Dingen. Berlin: Matthes & Seitz 2017, S. 80 [Zhuangzi Kap. 6]





"Mach das zu deiner Heimat, was ohne Beschäftigungen ist. Und in weltlichen Angelegenheiten gehe mit den Dingen mit.

Kommentar: Siehe deine innere Natur, leer und still, und mach sie zu deiner wahren Heimat. Gebrauche deine Weisheit, ohne irgendeine Grenze. Dann wirst du mit den Dingen mitschwingen.
So wie die Wasseroberfläche alles widerspiegelt, so solltest du mit den Dingen mitgehen und ihre Formen reflektieren.
Das ursprüngliche Herz ist so klar und rein wie die Wasseroberfläche. Es spiegelt alles wider, ohne Hindernis. So können alle Dinge ihre Form in ihm finden. daher heißt es im Text >>ihre Formen reflektieren<<."(1)

Dingguan Jing - Schrift über die Sammlung und die Betrachtung, S.4b

(1) Darga, Martina (Übers.): TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 183 f.





"Eine Rose stellt die Natur dar, aber sie ist nicht die Rose"(1)

Der ungetrübte Geist (1973)
Agnes Martin

Agnes Martin (1912-2004) war eine Malerin, die von sich selbst sagte: "Ich male mit dem Rücken zur Welt." Ihr wichtigster philosophischer Begleiter war das Daodejing des Laotse (Laozi), aber auch Dschuangzi und Chan (Zen)-Texte, z.B. die des Huang Po hat sie intensiv durchdrungen. Für mein Empfinden stellte sie die Stille und Weite des offenen Geistes nicht nur meisterlich dar, sondern fördert mit vielen ihren Werken das Eintreten in die geistige Ruhe, so äußert sich Martin in ihrer Aphorismen-Sammlung folgendermaßen: "Dieses Bild mag ich, weil du in es hineingehen und darin ausruhen kannst."(2)

Gemälde von Martin Untitled #5 1998

(1) Martin, Agnes: Agnes Martin. Düsseldorf: Hirmer 2015, S. 246 [Der ungetrübte Geist]
(2) Martin, Agnes: Agnes Martin. Düsseldorf: Hirmer 2015, S. 246 [Der ungetrübte Geist]





"Ein guter Führer kämpft nicht.
Ein guter Kämpfer wird nicht zornig.
Wer seine Feinde sicher besiegt,
ist der, der sie nicht angreift.
Wer die Menschen gut einsetzt,
ist der, der sich ihnen unterordnet.
Das nenne ich die innere Kraft, nicht nach etwas zu streben.
Das nenne ich die Fähigkeit, Menschen einzusetzen.
Das nenne ich, dem Himmelspol zu entsprechen."(1)

Laotse (Laozi) 68

Der vollkommene Herrscher unterstellt sich den allgemeingültigen Gesetzen der sichtbaren und unsichtbaren Welt. Er folgt aufmerksam den Bewegungen des steten Wandels der Dinge und Erscheinungen. Daher findet er immer die passende Lösung zur richtigen Zeit. Seine Gefühlswelt und seinen Geist hat er beruhigt, so dass er kleinste Veränderungen wahrnimmt, bereits früh die Weichen stellen kann und nicht zu drastischen Mitteln greifen muss.

(1) Darga, Martina (Übers.): TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 183





"Runde Dinge können sich aufgrund ihrer Form leicht hin und her bewegen. Eckige Dinge bleiben aufgrund ihrer Form still liegen...
Rundsein heißt, in der Mitte des Kreises zu sein. Befindest du dich in der Mitte des Kreises, folgst du allen Wandlungen und passt dich den Veränderungen an. Du kannst nach oben gehen oder nach unten; du kannst hochgestellt sein oder niedrig; du kannst handeln oder stillhalten, ohne dabei an einer Methode festzuhalten.
Eckigsein bedeutet, in der Mitte des Vierecks zu sein. Befindest du dich in der Mitte des Vierecks sind Richtig und Falsch nicht verworren. Du handelst nicht respektlos und auch nicht ohne Rechtschaffenheit; du begibst dich nicht auf falsche Wege, und in deinem Inneren gibt es einen Herrscher.
Kannst du rund und eckig sein, folgst du also dem Kreis und dem Viereck, dann verfällst du nicht in Eigensinn und Starrheit. Auch treibst du nicht hin und her wie die Wellen im Wind. Vielmehr bist du im Äußeren lebendig und im Inneren ruhig und stabil."(1)

Wudao Lu - Aufzeichnungen über das Erwachen zum Dao

Die Anpassungsfähigkeit und die innere Führung, den Wandlungen der Welt folgen und sich gleichzeitig durch Richtlinien einen gewissen Rahmen geben.

(1) Darga, Martina (Übers.): TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 197 f.





"Es gibt nichts im Universum, das sich nicht bewegt."

Zum Vergleich bietet sich der Vers 16 des Laotse (Laozi) an:

"...Bewahre unverfälscht die Stille.
Die zehntausend Wesen mögen zur gleichen Zeit aktiv sein,
ich betrachte dabei die Umkehr.
Denn von den Wesen in all ihrer Vielfalt,
kehrt jedes zu seiner Wurzel zurück.
Die Rückkehr zur Wurzel heißt Stille,
und dies bedeutet die Umkehr zum Leben..." (1)
 

Die "zehntausend Wesen" bezeichnen die materielle Welt mit all ihren Dingen und Erscheinungen, die ausnahmslos bewegt sind.

(1) Darga, Martina (Übers.): TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 164, [Daode Jing, Abschnitt 16]





"Das Große beginnt im Kleinen, das Viele im Wenigen. (...)
Auf der Welt gibt es schwierige Dinge.
Sie müssen gemacht werden, wenn sie noch leicht sind.
Auf der Welt gibt es große Dinge.
Sie müssen gemacht werden, wenn sie noch klein sind.
Darum beginnt der Weise nie mit Großem
und vermag so Großes zu vollenden."(1)

Das Leben des Laozi, in Deutschland besser bekannt unter der früheren Umschrift Laotse, wird datiert auf das 6. Jhd. v.Chr.. Ungeklärt ist aber eine tatsächliche Existenz dieser Person. Auch das ihm zugeschriebene Werk "Daode Jing", "Die Schrift vom Dao (Tao) und der Wirkkraft" wird häufig mit seinem Namen bezeichnet. In späteren Jahrhunderten wurde Laozi in den göttlichen Stand erhoben und ist heute in zahlreichen Tempeln verehrt.

(1) Darga, Martina (Übers.): TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 182, [Daode Jing, Abschnitt 63]





"...Es gibt nichts, was nicht bei einem selbst beginnt. Bei allen Angelegenheiten, allen Prinzipien, allen Führern und allen Wesen ist es so, dass es nichts gibt, was nicht von einem selbst ausgeht. Daher bildet die Korrektur seiner selbst notwendigerweise ein Fundament, wenn man in der Kultivierung fortschreiten will. Hast Du dich selbst korrigiert und begegnest anderen Menschen, werden diese Menschen auch wieder korrekt. Hast Du dich selbst korrigiert und führst bestimmte Tätigkeiten aus, werden diese Tätigkeiten auch wieder korrekt. Wenn du dich selbst korrigiert hast und kommst mit Dingen in Kontakt, werden diese Dinge auch wieder korrekt..."(1)

Die Korrektur seiner selbst zur Aktivierung der eigenen Wirkkraft (de).(2) Der Herrscher und der Weise wirkt ohne planendes, zielgerichtetes Handeln, indem er sich selbst kultiviert zur höchsten Vervollkommnung. Bleibt er in diesem Zustand in Übereinstimmung mit dem Dao "bleibt nichts ungetan".(3)

(1) Darga, Martina (Übers.): TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 196 f., [Zhonghe Ji, Kap.1, S.10a - b]
(2) vgl. ebd., S. 196
(3) Pohl, Karl-Heinz (Übers.): Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2013. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 50 f. [Laozi (Laotse) 48]





"Das Allerweichste der Welt
Holt im Rennen das Allerhärteste ein;
Ins Lückenlose dringt
Was ohne Sein..."(1)

Laozi (Laotse)

1) Schlombs, Adele/Ströber, Eva (Übers.): Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2012. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 18 [Laozi, Kap. 43]

Das Weiche bricht nicht im Gegensatz zum Harten. Anpassung an die äußeren Umstände ist ein häufiges Motiv für erfolgreiches Vorgehen in der daoistischen Literatur. Ein beliebtes Bild in diesem Zusammenhang ist der flexible Bambus oder das Wasser. Alles durchdringend und damit erfassend ist aber nur was nicht existiert im Sinne einer Materialisierung. Materialisierung wird in vielen Ansätzen der alten chinesischen Philosophie als Verdichtung von Qi betrachtet. Die Richtung der Entwicklung im Rahmen der Selbstkultivierung des Menschen sollte also in die Weite, die Auflösung (von z.B. Kontraktion) und Loslösung (von z.B. Bindungen) zum Zustand "ohne Sein" stattfinden.





"Begegnet man allen Dingen in wahrhaft beständiger Ruhe, kann man darin das Wesen erfassen."(1)

(1) Lüdi-Kong, Eva: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2018. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 37

Qingjing jing - Das Buch der Klarheit und Ruhe - ist ein kurzer anonymer Text mit 90 Versen aus der Tang-Dynastie (618-907), die den Daoismus und die Dichtkunst sehr förderte.




„Übe viel das Wenige und nicht wenig das Viele“.(1)

Großmeister Fu Zong Wen


Diese Aussage des Tai Chi-Großmeisters Fu Zong Wen trifft ebenso auf die Qigong-Praxis zu. Die Vertiefung und vollständige Erfassung der Übung durch ständige Wiederholung führt zur Veränderung auf der körperlichen Ebene. Die Automatisierung und monotone Praxis der Bewegung eröffnet dem Geist die Möglichkeit des Eintretens in die Ruhe. Tritt Langeweile auf, so ist die Langeweile lediglich eine Hürde, die es zu überwinden gilt. Beherrsche ich meinen Geist oder beherrscht mein Geist mich, ist an dieser Stelle die Frage. Muss ich der aufkommenden Langeweile folgen und meine Gedanken mit Neuem füttern, um nicht nach innen schauen zu müssen? Oder kann ich über die Langeweile hinaustreten in eine andere Erfahrungswelt?

Li, Rong Mei: Ein Gespräch mit Li Rong Mei. URL<http://www.yongnian-taiji.eu/2016/ein-gesprach-mit-li-rong-mei/> (Abruf 04.12.2019)




"Exzessive Freude ist mit Verlangsamung und Zerstörung des Qi verbunden; übermäßige Wut lässt das Qi aufsteigen; zu viel Sorgen und Trauer schwächen das Qi; übermäßige Schwermut erzeugt >>Knotigkeit<< und >>Steckenbleiben<<; Angst lässt das Qi nach unten sinken; Furcht lässt es chaotisch werden." (1)

Huang Di Nei Jing

Eine "Knotigkeit" des Qis bedeutet gleichzeitig eine Verdichtung des Qi, was zur Stagnation, zum "Steckenbleiben" führen kann.

(1) Kaptchuk, Ted. J.: Das große Buch der chinesischen Medizin. Bern u.a.: O.W. Barth 1992, S.145. zit. nach Olvedi, Ulli: Das Stille Qigong nach Meister Zhi-Chang Li. München: Knaur 2011, S. 85




"...Bewahre unverfälscht die Stille.
Die zehntausend Wesen mögen zur gleichen Zeit aktiv sein,
ich betrachte dabei die Umkehr.
Denn von den Wesen in all ihrer Vielfalt,
kehrt jedes zu seiner Wurzel zurück.
Die Rückkehr zur Wurzel heißt Stille,
und dies bedeutet die Umkehr zum Leben.
Die Umkehr zum Leben ist eine Regel.
Diese Regel zu erkennen bedeutet Klarheit,
sie nicht zu kennen,
führt zu Falschem und schafft Unheil.
Die Erkenntnis dieser Regel führt zum Verstehen.
Verstehen führt zur Unparteilichkeit.
Unparteilichkeit für dazu, alles zu umfassen.
Alles zu umfassen führt dazu, der Natur entsprechend zu werden.
Der Natur entsprechend zu werden führt zum Dao.
Das Dao führt zur ewigen Dauer.
Der Körper mag vergehen, doch darin besteht keine Gefahr."(1)

Die Rede ist hier von einer Methode, nämlich der die Stille zu bewahren. Die Stille umschließt die Bewegungslosigkeit, nicht nur die Absenz von Tönen und Geräuschen. Das Ziel ist die Rückkehr zum Ursprung der eigenen Existenz, die hier "Leben" genannt wird (s. dazu auch Die Innere Alchemie). Die "Wurzel" ist still. Sich dieser Eigenschaft der Stille anzugleichen, führt zurück zum "Leben". Spätestens nach dem Tod kehren alle Wesen zum Ursprung zurück.

Die "zehntausend Dinge" bezeichnen die materielle Welt mit all ihren Dingen und Erscheinungen, die zur gleichen Zeit bewegt sein können, während der Übende die Stille sucht. Das "Leben" in seiner Stille existiert parallel zur Dynamik des weltlichen Geschehens.

Hat man das generelle Naturgesetz der Rückkehr zum Zustand des "Lebens" erfasst, bedeutet dies einen Zuwachs an Klarheit, also an Bewusstheit. Diese Einsicht führt wiederum dazu, dass sich der Übende nicht mehr Vorlieben und Abneigungen hingibt und damit Partei ergreift, sondern alles Bestehende annimmt, ohne es durch physische und geistige Haltungen (Körper und Geist bilden in Wirklichkeit eine Einheit) abzuwehren. Es entsteht eine weitere, offenere Beschaffenheit von Geist und Körper. Dieser veränderte Zustand wiederum bedeutet eine zusätzliche Annäherung an die Natur. Eine komplette Angleichung an die Naturgesetze bewirkt die Einheit mit dem Dao, dem Urgrund, aus dem alle Dinge entstehen.

Da das Dao nicht dem Wechsel von Entstehen und Vergehen unterworfen ist, führt die Einheit mit dem Dao ebenfalls zur "ewigen Dauer".

(1) Darga, Martina (Übers.): TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 164, [Daode Jing, Abschnitt 16]




"Der Ursprung aller Krankheiten liegt in Wind, Regen, Kälte und Sommerhitze, in den (Unregelmäßigkeiten der) Yin (-Qi) und Yang (-Qi), in (den Exzessen von) Freude und Ärger, in (der Maßlosigkeit von) Getränken und festen Speisen, ebenso wie in (einer unpassenden) Wohnsituation, aber auch in heftigem Erschrecken und plötzlicher Furcht." (1)
Huang Di Nei Jing Ling Shu

Das Huang Di Nei Jing Ling Shu entstand vermutlich während der Han Dynastie (206 v.Chr. -220 n.Chr.) aus diversen Einzeltexten. Wer die Quellen zu einem medizinischen Gesamtwerk zusammenfügte ist unklar. Es gilt als der Klassiker der Akupunktur. (2)

(1) Unschuld, Paul U. (Übers.): Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2016. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 14, [Huang Di Nei Jing Ling Shu, Kap. 28]
(2) vgl. Unschuld, Paul U.: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2015. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 11


 

Die innere Natur läutern
Die innere Natur zu ordnen gleicht dem Stimmen der Saiten einer Qin.(1) Sind die Saiten zu straff, werden sie reißen. Sind sie zu locker, werden sie nicht klingen. Nur wenn es eine Ausgewogenzeit [sic] zwischen Straffheit und Lockerheit gibt, ist die Qin gut gestimmt.
Es ist auch ganz ähnlich wie die Herstellung eines Schwertes. Verwendet man zu viel hartes Metall, wird es brechen. Verwendet man zu viel weiches Metall, wird es sich biegen. Nur wenn das Verhältnis von hartem und weichem Metall ausgewogen ist, lässt sich ein gutes Schwert schmieden. Wer seine innere Natur läutert und dabei beide Prinzipien verkörpert, erreicht wie von selbst Großes. (2)

Wang Chongyang

(1) chinesische Griffbrettzither

(2) Darga, Martina (Übers.): TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 165, [Fünfzehn Abhandlungen von Chongyang zur Begründung seiner Lehre, 9. Abhandlung, S. 4a]

"Die innere Natur läutern" ist ein Prozess der Selbstkultivierung im Sinne des Daoismus. Qi-Übungen können u.a. als Methode dieser Entwicklung dienen. Bezogen auf Qigong-Übungen bedeutet dies eine ausgewogene Kraftentfaltung zwischen Schlaffheit und Anspannung.




Der Handelnde verdirbt, der Festhaltende verliert.
Aus diesem Grund praktiziert der Weise (Shengren) Wuwei
und verdirbt nichts und er hält nichts fest und er verliert nichts.

Laozi Kap. 64

Wuwei - Übersetzungen: Nichthandeln, Nicht-Tun, nicht handeln, nichts tun

Die Lebensführung im Sinne des Wuwei ist eine wesentliche Maxime für die innere Entwicklung des daoistisch Interessierten. Gemeint ist damit nicht Passivität. Der Mensch soll nicht künstlich in den Lauf der Dinge eingreifen und damit die Prozesse des Dao stören. Vielmehr soll er sich mit dem Mittel des "Von selbst so seins"(Ziran, s.u.), seinen natürlichen und spontanen Handlungsimpulsen folgend, den Veränderungen der Dinge anpassen. Dabei ist wichtig, ein Gespür für die eigene Wesensnatur und die Bewegungen der Umgebung zu gewinnen. Da er mit dem Vorgehen im Wuwei immer in Einklang mit dem Dao steht, kann er sich dem Dao annähern. Im Gegensatz dazu stand in der alten Zeit der Konfuzianer, der sich aus Laozis und Zhuangzis Sicht durch Erlernen von Riten, Kunst und Anpassung an Sitte und Moral selbst verbog und durch menschengemachte Eingriffe von den natürlichen Prozessen des Daos, vom Urgrund allen Seins, entfernte. Dementsprechend wirkt der daoistische Weise wie ein einfacher, fast einfältiger Mensch.(2)

(1) Wolfgang Ommerborn: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2004. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 113
(2) vgl. ebd., S. 113 f.




Es ist einzig richtig, dem Lauf aller Dinge zu folgen
Und sich auf der Strömung des großen Wandels treiben zu lassen
Weder Himmel hoch jauchzend noch zu Tode betrübt
Und wenn die Zeit gekommen ist, dann gehe einfach, ohne weiter über all das nachzudenken.

Tao Yuanming (365-427)

Wolfgang Ommerborn: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2004. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 103

Der Begriff des "Ziran" (Natürlichkeit, dem Weg der Dinge gemäß, von selbst, ungekünstelt, ungezwungen, automatisch, wie selbstverständlich) bildet in diesem Gedicht das zentrale Thema. Ausgehend von der Vorstellung der ständigen Veränderung aller Dinge und Erscheinungen in Welt und den diesen Bewegungen immanenten Ordnungsstrukturen des Daos rät der Poet Tao Yuanming zur Anpassung an diesen Fluss in der Art des Zirans.(1) Da die Dinge der Welt und der Mensch denselben Ordnungsstrukturen unterliegen, ist der Weg des "Mitströmens" die Handlungsweise in Übereinstimmung mit dem Dao. Neben dem Mittel der Natürlichkeit (Ziran) kommt der emotionalen Balance eine große Bedeutung zu. Tao empfiehlt: sich nicht hinreißen lassen zu großen Ausschlägen der Gefühle, weder im Positiven noch im Negativen, das Pendel in der Mitte halten. Auch übergroße Freude gehört in der Traditionellen Chinesischen Medizin zu den schädlichen Einflüssen auf die Gesundheit.

Und letztlich hält er wenig von der Erfassung der Sinnfrage mit dem Verstand. Der Mensch soll sich diesen größeren Zusammenhängen unterordnen und dem Wandel hingeben, wenn das Ende des Lebens bevorsteht.

(1) vgl. Wolfgang Ommerborn: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2004. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 100 ff.




Die Rückkehr ist die Bewegung des Dao,

In der Schwachheit liegt das Wirken des Dao.

Die mannigfaltigen Wesen und Dinge in der Welt werden

aus dem Seienden geboren,

und das Seiende wird aus dem Nicht-Seienden geboren.(1)

In jedem Menschen schlummert ein Funke des Dao, des Urgrundes, aus dem er und alle anderen Erscheinungen der Welt entstammen. Die Bewegung des Dao ist die Rückkehr. Der Anteil im Menschen, der dem Dao entspricht, strebt zurück zum Ursprung.(2) Das Dao wirkt nicht durch seine Stärke, im Gegenteil durch seine Nachgiebigkeit und Schwäche. (s.a. weiter unten Laozi, Abschnitt 78) Die Manifestationen der Welt stammen letztlich aus etwas jenseits des Greifbaren und Begrifflichen.

(1) Darga, Martina (Übers.): TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 164, [Laozi - Daode Jing, Abschnitt 40]
(2) vgl. ebd., S. 155 ff.




Der Begriff „Qi“
Bildelemente: (unten) Reis, (oben) Dampf, Rauch.
Übersetzungen: Dampf, Luft, Gas, Äther, Dunst; Hauch, Atem; Einfluss, Macht, Lebenskraft; Geist, Gefühl; Zorn, Laune; Wesen, Art, Benehmen; Zustand.
Wolfgang Ommerborn: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2004. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S.105
Quelle chin. Schriftzeichen: Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Qi. Abruf 02.10.2019




„Das, was lebt und stirbt, ist die Person (der „Körper“, shen). Das, was ohne Leben und Sterben ist, ist das Herz (xin). Wird die Rückkehr hochgeschätzt, dann lebt das Herz. Geht man bezüglich der Rückkehr in die Irre, dann stirbt das Herz.“ (Darga 2004)
Xingming Guizhi

Die Umwandlung der dem Menschen immanenten Energien ist ein zentrales Thema der inneren Alchemie, einer bedeutenden Strömung des Daoismus. Diese Veränderung vollzieht sich auf zwei Ebenen: der Wesensnatur (Xing) und der Lebensenergie (ming), die eng mit dem Körper und dem Qi verbunden ist und eine gestaltverleihende Eigenschaft hat. Xing gehört dem Gestaltlosen (dem Herzen, Xin) an und meint die Wesensnatur, die über das manifestierte Dasein als Person hinaus geht. Durch die Rückkehr des Herzens (xin) zur Einheit mit dem Dao wird dieser Teil des Menschen wieder unsterblich. (vgl. Darga 2004)

Darga, Martina: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2004. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng,[Xingming Guizhi], S. 60 ff.




Konfuzius sagt:

"Innerhalb der vier Meere sind alle Menschen Brüder."

"SI HAI ZHI NEI, JIE XIONG DI YE."

Frühauf, Manfred W.: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2012. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, [Lunyu, Kap. Yan Yuan], S. 91




Der Mensch ist vom Qi umgeben, und das Qi ist im Menschen. Himmel und Erde sind erfüllt von Qi, und von allen Lebewesen der Welt gibt es keines, das ohne Qi leben könnte. Wer das Qi meistert, nährt den Körper von innen.

Baopuzi

Baopuzi: Kap. "Yangshen", zit. nach Olvedi, Ulli: Das stille Qigong. München: Knaur 2011, S. 5


Baopuzi (Ge Hong) lebte von ca. 280 bis ca. 340 n. Chr.. Er war ein Meister der Inneren Alchemie, ein Weisheitslehrer und Pathologe und gelangte durch sein Werk über Philosophie, Medizin, Religion, Spiritualität und Energiearbeit zu Ruhm.




...Da erklärte Konfuzius: Wenn du alle Fesseln los bist, hast du keine Vorlieben mehr. Wenn du allen Verwandlungen der Wirklichkeit folgst, bist du völlig unbefangen. Du bist ein Weiser geworden. Erlaube, dass ich, Qiu, nun dein Schüler werde.

Zhuangzi

Jean Francois Billeter: Das Wirken in den Dingen. Vier Vorlesungen über das Zhuangzi. Übers. aus dem Franz. Thomas Fritz. 2. Aufl. Berlin: Matthes & Seitz 2017, S. 80 [Zhuangzi, Kap. 6]

Die Welt als Ort der steten Veränderung ist mehrfach Thema im Zhuangzi. Es gelte, sich diesem ständigen Wandel anzupassen. Eine weitere Herausforderung auf dem Weg zum Edlen, zum weisen Menschen, ist die Aufgabe von Bindungen aller Art, dem Anhaften an Dingen, Menschen und Abstrakterem. Ist dies gelungen, zeigt es sich im Rückgang bzw. dem letztlichen Verschwinden von Vorlieben. Alles wird gleichermaßen angenommen, nichts bevorzugt. Es entsteht eine Offenheit für alles, was ist. -
Und damit ergibt sich ein erhöhtes Maß an Wahrnehmung, verbunden mit einer genaueren Realisation der Wirklichkeit. Daneben reduziert sich die Reibung an den Gegebenheiten und die daraus resultierenden negativen Gefühle, die, wie bereits hier beschrieben, die Gesundheit schädigen können.

Konfuzius zeigt dem neuen Weisen seine Ehrerbietung, indem er seinen Vornamen nennt.




„Wer zu viel redet, erschöpft sich. Besser ist es zhong (die Mitte, Ausgewogenheit) zu wahren.“ (1)

Laozi


Übertragen auf das Qigong bedeutet die Mitte, dass sich der Körper stets im Schwerpunkt befinden und man nicht eine Seite übermäßig belasten sollte. (2)

(1) Tan Dajiang (Übers.): Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2012. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, [Laozi, Kap. 5], S. 80
(2) Ebd., S. 79




„…Glück und Segen kommen vom völligen Innehalten. Nicht innezuhalten nennt man das Herumgaloppieren beim Stillsitzen. Um mit dem Inneren in Kontakt zu bleiben, verlasse dich nicht auf Deine Ohren und Augen, und auch das Wissen des Herzens („unterscheidendes Wissen der manifestierten Welt“, I.K.) lass draußen. Dann werden Geister und Gottheiten in dein Haus kommen – und um wie viel mehr noch die Menschen! Das ist, was die Dinge wandelt, was für (die mythischen Kaiser) Yao und Shun verbindend war und was Fuxi und Jiqu bis zu ihrem Ende praktizierten….“

Darga, Martina (Übers.): TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 147, [Zhuangzi, Kap.4., 1. Abschnitt]

Das Werk Zhuangzi, auch Dschuang Dsi in der früheren deutschen Umschrift, ist neben Laozi (Laotse) eines der bedeutendsten und im Westen bekanntesten Klassiker des chinesischen Altertums. Meist wird Zhuangzi dem philosophischen Daoismus zugerechnet. Zhuang Zhou selbst lebte um 365 v. Chr. - 290 v. Chr. . Andere Umschriften für den Meister Zhuang sind Chuang-tzu nach dem Wade-Gile-System, Tschuang-tse nach dem Stange System. Während der Tang-Dynastie wurde der Daoismus zur Staatsreligion. Im Jahr 742 unter Kaiser Xuanzong erhielt das Zhuangzi daher eine Auszeichnung mit dem Ehrentitel „Das wahre Buch vom südlichen Blütenland“.




Wenn man gelassen und frei von Wünschen ist,
erhält man sich das wahre Qi,
wenn man die geistigen Kräfte im Inneren bewahrt,
wie könnte Krankheit einen dann angreifen.

Huang Di Neijing Suwen

Die Abkehr von Begierde und Verlangen sowie die Bewahrung der Ruhe angesichts der Verlockung mitreißender Emotionen erhält das wahre Qi. Zitat aus dem Huang Di Neijing Suwen, einem über zweitausend Jahre alten medizinischen Klassiker des alten China




Das Herz zähmen
Lasst mich nun den Weg des Herzens erörtern: Ist das Herz stets ruhig und still, bewegt es sich nicht. So formlos und verborgen - es erscheint nicht unter den mannigfaltigen Wesen. So vage und unsichtbar - es gibt kein Außen und kein Innen. In ihm ist nicht der geringste Gedanke: Das ist das gefestigte Herz, das nicht gezähmt zu werden braucht. Geht das Herz mit der Außenwelt mit, ist es völlig verdreht, es schaut nach Köpfen und sucht nach Schwänzen. Das nennen wir das ungeordnete Herz. Es sollte schnell beschnitten und entfernt werden. Du darfst darin nicht nachsichtig sein, denn sonst wird es das Dao und die Wirkkraft verderben, die innere Natur und das Leben werden verlorengehen. Beim Stehen, Gehen, Sitzen oder Liegen, immer wenn Du tätig bist, solltest Du es (das Herz) zähmen. Sind doch Hören und Sehen, Wissen und Wahrnehmung allesamt nur Krankheiten und Unordnungen!

Fünfzehn Abhandlungen von Chongyang zur Begründung seiner Lehre

Darga, Martina (Übers.): TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 148, Chongyang Lijiao Shiwu Lun [8. Abhandlung, S. 3b-4a]

Das Herz (xin) im chinesischen Sinne umfasst Emotionen, Denken, Motivation, Wille, Erinnerung und Wissen.




Sobald du dich etwas gereinigt hast, setze deine Praxis beim Gehen und Stehen, beim Sitzen und Liegen fort. In welche Angelegenheit du auch involviert bist und was immer dich beunruhigen könnte, lass deine Gedanken stets ruhig sein. Ob du etwas tust oder dich ausruhst, bewahre immer den Zustand >>kein Herz<<.

Schrift über die Sammlung und die Betrachtung

Darga, Martina (Übers.): TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 152, [Dingguan Jing, S. 3a-3b]

Der Geist des Herzens umfasst Emotionen, Denken, Motivation, Wille, Erinnerung und Wissen.




Umweltschutz im Daoismus

14. Du sollst nicht [die Vegetation von] Brachland, Feldern, Bergen und Wäldern abbrennen.

18. Du sollst nicht willkürlich Bäume fällen.

19. Du sollst nicht willkürlich Kräuter oder Blumen pflücken.

36. Du sollst keine giftigen Substanzen in Seen, Flüsse und Meere werfen.

47. Du sollst nicht willkürlich die Erde aufgraben und damit das Land zerstören.

53. Du sollst keine Moore trockenlegen.

95. Du sollst im Winter keine Insekten oder Tiere ausgraben, die Winterschlaf halten.

101. Du sollst keine Teiche oder Brunnen verstopfen.

109. Du sollst in einer offenen Ebene kein Feuer entzünden.

132. Du sollst keine Vögel und [anderen] Tiere aufschrecken. (1)


Diese Gebote gehörten in der Östlichen Han-Zeit (25-220) zu den Vorschriften für die Oberhäupter daoistischer Gemeinschaften im heutigen Sichuan. Es ist anzunehmen, dass im Rahmen der Vorbildfunktion dieses Reglement auch für die anderen Gemeindemitglieder galt. In weiten Teilen hat dieser Leitfaden auch heute noch für bedeutende monastische Traditionen Gültigkeit. (2)

1. Olles, Volker: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2011. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng.["Hundertachtzig Vorschriften des Herrn Lao"], S. 22 f.
2. vgl. ebd., S. 22 f.




Wer weiß, ist ungelehrt,
wer gelehrt ist, weiß nichts (Kap. 81)

Also auch der Berufene [...]
Er lernt das Nichtlernen. (Kap. 64)
...
Wer das Lernen übt, vermehrt täglich.
Wer den "Weg" übt, vermindert täglich.
Er vermindert und vermindert,
bis er schließlich ankommt beim Nicht-Tun.
Beim Nicht-Tun bleibt nichts ungetan. (Kap. 48)

Laozi
 
Pohl, Karl-Heinz (Übers.): Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2013. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 50 f.


Pohl arbeitete mit den Übersetzungen des Laozi von Hans-Georg Möller und Richard Wilhelm und nahm an diesen leichte Veränderungen vor.

In der indischen Katha-Upanishad wird eine ähnliche Feststellung erwähnt: "Nicht durch Studium findet man zum Atman (Einzelseele, die mit der Weltseele - Brahman - in Verbindung steht und letztlich identifiziert wird), auch nicht durch Genie und viel Bücherwissen..."(1)

Große Gelehrsamkeit gilt Laotse als hinderlich auf dem Weg zum Dao. Gelerntes ist keine direkte Erfahrung und damit keine Auseinandersetzung mit der letzten Wirklichkeit. Was könnte mit Vermindern gemeint sein? Das Nichtlernen lernen bedeutet Horchen anstelle der Einverleibung fremden Wissens. Lauschen und Wahrnehmen ist in seiner Qualität passiver als Lernen. Wer horcht vermindert die Aktivität des Ansammelns.

Auf dem Pfad zur letzten Wirklichkeit wird das Ego vermindert. Diese Methode bewährt sich nicht nur im Daoismus, sondern ebenfalls im Buddhismus und im Christentum, wo traditionell in diesem Zusammenhang der Begriff "Selbstlosigkeit" Verwendung findet. Mit der Ich-Aufgabe verbunden sind Wunschlosigkeit und die Befreiung von Bindungen (Anhaftungen). Dieser "verminderte" Zustand der Selbstlosigkeit findet ebenfalls bei Zhuangzi im 12. Kapitel Erwähnung. Das proaktive Agieren in der äußeren sichtbaren Welt ist auf ein Minimum zurückgefahren. Trotzdem wird viel erreicht. "Er (der zum König bestimmte, I.K.) wurzelt im Urgrund und weiß, das Geisterhafte zu durchdringen... Sein Herz reagiert auf die Dinge, nur wenn sie es von ihm verlangen. Denn das Gestaltete entsteht nur durch das Dau (Dao, I.K.)... Selbstlos den Dingen folgend, wirkt er, und so folgen ihm auch alle Dinge!"(2)

Das Wu Wei, das "Nicht-Tun", könnte man aus moderner, wissenschaftlich geprägter weltanschaulicher Sicht mit "... die Verwendung der Naturkräfte, um seinen Zweck mit größter Sparsamkeit zu erreichen" (3) umschreiben oder ein nicht im voraus geplantes, spontanes Handeln, das den jeweiligen Erfordernissen eines Augenblicks entspricht.(4) Es wird von einer Wirkkraft in den Dingen ausgegangen, die aus dem Dao stammt (Laozi, Kap. 21). Stellt man diesem Wirken des Dao eine andere, fremde Kraft durch "Tun" entgegen, so wird die ursprüngliche Eigenart des Dinges (4) und dessen Entwicklung verändert und steht den natürlichen Gesetzmäßigkeiten des Ursprungs entgegen. Daher gilt der Vorzug dem "Nicht-Tun".

1. zit. nach Schwarz, Ernst: Laudse - Daudedsching. Leipzig: Reclam 1978, S. 104
2. ebd., S. 129 f.
3. Lin, Yutang: Lin Yutang: Die Weisheit des Laotse. Frankfurt: Fischer 1987, S. 165
4. vgl. v. Mangoldt, Ursula (Übers.): Der Geist des Zen. Huang Po. München: O.W. Barth 2011, S. 151
5. vgl. Schwarz, Ernst: a.a.O., S. 130




Das Lied des unsterblichen Kranichs

In Kiefern, am Boden, entdeckst du ihn niemals, den Kranich;
Ob Frühling, ob Herbst, in den Lüften nur siehst du ihn schweben.
Doch sucht er nicht, strebt nicht in Wolken nach Höhe und Größe;
Ein Kranich braucht Freiraum, er sehnt sich, in Freiheit zu leben.

Kong De / Tan Dajiang
Am 1. November des Jahres 2011 aus dem Haus
des überwinternden Drachen im Wudang-Berg


Dahmer Manfred (Übers.): Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2012. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 82

Tan Dajiang war ein Gelehrter für Geschichte, Methoden und Kulturgüter des Daoismus.




"Was Buddha lehrt hat nur das eine Ziel:
Des Denkens Raum zu überqueren.
Ist still geworden der Gedanken Spiel,
Was nützen dann noch Buddhas Lehren?"

Huang Po (Xiyun)

von Mangoldt, Ursula (Übers.): Der Geist des Zen: Die legendären Aussprüche und Ansprachen des Huang-po. München: O.W. Barth 2011, S. 83


Huang Po, bei seinem eigentlichen Namen Xiyun genannt, erhielt später den Namen des Berges, auf dem er wohnte. Er ist einer der bedeutendsten Zen (Chan)-Meister Chinas aus dem 9. Jhd.. Er gehörte dem Linji (Rinzai)-Zweig des Zens an. In diesem Vers wird die Relevanz der Beruhigung der Gedanken betont, die, solange aktiv, uns auf einen begrenzten Raum beschränken. Im Rahmen der Unterscheidung, dem analytischen Denken, ist ein Überschreiten der dualistischen Welt nicht möglich. Die Lehre kann auf dem Weg zur Stille bis zu deren Eintreten lediglich unterstützend wirken und sie nicht ersetzen. Auch kann die Ruhe der Gedanken ohne Lehre erreicht werden.




"Zigong, ein Schüler des Konfuzius, fragte den Meister:
´Wenn ein Edler einen großen Fluss sieht, dann betrachtet er ihn. Warum?`

´An den Wassern eines Flusses misst ein Edler seine Eigenschaften`, erwiderte Konfuzius.

´Er gibt nach überall und ohne Selbstsucht: darin gleicht er der Tugend. Wohin er kommt, dort entsteht Leben: darin gleicht er der Menschlichkeit. Wenn er nach unten fließt, passt er sich an und folgt den Linienzügen der Landschaft: darin gleicht er der Klugheit. Ohne Zögern stürzt er sich in hundert Klafter tiefe Schluchten: darin gleicht er der Tapferkeit. Er durchwirkt das Schwache und durchdringt das Feine: darin gleicht er der Erkenntniskraft. Ohne sich zu beklagen nimmt er üble Dinge in sich auf: darin gleicht er der Verträglichkeit. Was unrein in ihn kommt, das tritt frisch und sauber wieder aus ihm heraus: darin gleicht er der Verwandlungskraft ... In zehntausend Windungen strebt er nach Osten: darin gleicht er der Entschlossenheit. - Deswegen: Wenn ein Weiser einen großen Fluss sieht, dann betrachtet er ihn.`"

Shuoyuan - Garten der Sprüche

Schlombs, Adele/Ströber, Eva: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2012. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng.[Shuoyuan, Kap.17], S. 19

Das Shuoyuan (Garten der Sprüche), ist ein konfuzianisches Kommentarwerk.

Konfuzius lebte im 5 Jhd. v. Chr. und übte über die Jahrtausende bis heute mit seinen ethischen Idealen für die Gemeinschaft und den Einzelnen in der Gruppe großen Einfluss auf die chinesische Gesellschaft aus.




"Himmel und Erde sind unmenschlich -
die zehntausend Dinge sind ihnen Opferhunde aus Stroh.
Der Heilige ist unmenschlich -
Die Menschen sind ihm Opferhunde aus Stroh.

Der Raum zwischen Himmel und Erde -
gleicht er nicht einem Blasebalg:
Leer aber unerschöpflich,
je stärker bewegt, desto mehr kommt hervor.

Vieles hören, einiges ergründen -
das ist nicht so gut, wie die Mitte bewahren." (1)
Laozi

Diese Fassung des Laozi stammt aus dem 1973 entdeckten Grab im Dorf Mawangdui in der Provinz Hunan. Das besondere an diesem auf Seide verfassten Text ist das Alter. Er ist 500 Jahre älter als der jüngste bis zu dieser Zeit vorliegende und stammt aus dem 2. Jhd. vor Chr..

Die zehntausend Dinge bezeichnen in der Literatur die materielle Welt, die Welt, so wie sie uns erscheint. Opferhunde aus Stroh spielen im Opferritus eine Rolle, und nach Beendigung der Zeremonie werden sie achtlos beiseite gestellt. (2) Die konfuzianische Tugend der Menschlichkeit hat mit Güte zu tun. (3)

Die Natur ist unmenschlich und der Weise passt sich den übergeordneten Naturgesetzen an. Er ist auch unmenschlich. Er gibt sich in den Lauf der Dinge. Dies hat mit Hingabe zu tun. Die Leere beim Menschen bedeutet Eigenschaften des Herzens im chinesischen Sinne aufzugeben: den Willen, die Gefühle, die Worte. Letztlich werden die Abläufe des Raumes zwischen Himmel und Erde als natürliches Geschehen alles richten, während die Ethik des Menschen etwas Künstliches ist.

Der Raum zwischen Himmel und Erde ist leer, der Ursprung ist leer und je mehr Bewegung, desto mehr der zehntausend Dinge kommt hervor. Daher: Wie ist die Kunst der Reduktion dieser Bewegung?


1. Hans Georg Möller (Übers.): Laotse. Tao Te King. Frankfurt: Fischer 1995, S. 156
2. vgl. ebd., S. 156
3. Lin Yutang: Die Weisheit des Laotse. Frankfurt: Fischer 1987, S. 56




"Ganoderma und Orchideen wachsen in tiefen Tälern und verströmen ihren Duft ungeachtet davon, ob jemand sie riecht oder nicht. Ein edler Charakter übt die Tugend der stetigen Selbstvollendung aus, ohne in Zeiten der Not davon abzuweichen."

Lüdi Kong, Eva: Der 1000-Zeichen-Klassiker. Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2018, S. 80

Diese Textstelle stammt aus einem Grundschulbuch aus dem 6. Jhd., die sich auf Konfuzius bezieht. Das Werk wurde über viele Jahrhunderte unverändert gelehrt und dient noch heute als als Vorlage für die kalligraphische Ausbildung.
ebd., S. 81




"...Die drei Sphären sind die Sphären der Wünsche, die Sphäre der Form und die Sphäre des Formlosen. Wenn Dein Herz ängstliche Gedanken vergisst, gehst Du über die Sphäre des Verlangens hinaus. Wenn dein Herz alles Umgrenzte vergisst, gehst Du über die Sphäre der Form hinaus. Wenn Du nicht mehr an den leeren Erscheinungen haftest, gehst Du über die Sphäre der Formlosigkeit hinaus.

Losgelöst von diesen drei Sphären, lebt dein Geist im Land der Unsterblichen und Heiligen, und deine innere Natur ist im Zustand reinster Jade."

Darga, Martina (Übers.): TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 149, Chongyang Lijiao Shiwu Lun [13. Abhandlung, S. 5a - 5b]




"Der Ehrwürdige Herr sprach:
Das Dao wird vom Herzen erkannt.
Das Herz wird vom Dao erleuchtet.
Ist das Herz erleuchtet, steigt das Dao zu ihm herab.
Ist das Dao zu ihm herabgestiegen,
durchdringt das Herz alles."

Neiguan Jing - Die Schrift der Innenschau

Darga, Martina (Übers.): TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 149, Neiguan Jing [S. 4b]
Das Herz im chinesischen Sinne beinhaltet Emotionen, Denken, Motivation, Wille, Erinnerung und Wissen.




"Dreißig Speichen umgeben eine Nabe:
In ihrem Nichts besteht des Wagens Werk (yòng).
Man höhlet Ton und bildet ihn zu Töpfen:
Im ihrem Nichts besteht der Töpfe Werk.
Man gräbt Türen und Fenster, damit die Kammer werde:
In ihrem Nichts besteht der Kammer Werk.
Darum: Was ist, dient zum Besitz.
Was nicht ist, dient zum Werk."

Laozi (Laotse)

Pohl, Karl-Heinz (Übers.): Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2013. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 52, [Laozi: Daodejing, Kap.11]

Laozi umschreibt hier das Unbenennbare in seinem Wirken. Das Wesentliche an den erwähnten Gegenständen (dem Seienden) ist der leere Raum.
vgl. ebd., S. 52




"Die Menschen wollen alle nach oben, aber das Wasser fließt zum niedrigsten Punkt. Dieses Prinzip, zum Grunde hinabzufließen, ist der ,Palast des dao`, es ist das Instrument des wahren Herrschers".(1)
Guanzi

Meister Guan ist als historische Person nicht greifbar, das Werk Guanzi wurde vermutlich zur Zeit der Han-Dynastie (206 v. Chr. - 220 n. Chr.) kompiliert, enthält aber auch älteren Text.(2)
Das Wasser wird als Sinnbild der daoistischen Lebenshaltung gerne mit den Eigenschaften des Dao verglichen.(3) Die Yin-Qualitäten, das nach unten Fließende, das Weiche, Nachgiebige, das sich Wandelnde, das Passive werden zum Maßstab einer methodisch erfolgreichen Lebensgestaltung mit dem Ziel der eigenen Annäherung an das Dao als Urgrund. Darüber hinaus gilt für die Regierenden der Zustand in Einheit mit dem Dao als wirkungsvollste Technik des Herrschens.

Im Ausfüllen der Niederungen, die die Mehrzahl der Menschen meiden, ist das Dao dem Wasser gleich, wie Laozi in seinem Daodejing beschreibt.(4) Diese Entsprechung finden wir im Qigong in der körperlichen Umsetzung. Der Fokus liegt zunächst auf dem unteren Dantian im Unterbauch, wir setzen uns nach unten ab, ein Sitzen im Stehen, wodurch der Schwerpunkt des Körpers nach unten verlagert wird. Wir sammeln die Kraft unten, schaffen eine gesunde Basis, die ein sicheres Steigen der Energie ermöglicht: Wer fliegen will, braucht eine starke Wurzel.

1) Schlombs, Adele/Ströber, Eva: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2012. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng.[Guanzi], S. 18
2) vgl. ebd., S. 16
3) vgl. ebd., S. 18
4) Laudse (Übers. Schwarz, Ernst): Daudedsching. 6. Aufl., Leipzig: Philipp Reclam jun. 1978, [Vers 8], S. 54

 


>>Der höchste Glaube und das höchste Streben im Daoismus sind das "dao". Sie (die Daoisten I.K.) gehen davon aus, dass die Welt und alle Dinge ihren Ursprung im "dao" haben, sie vertreten die Meinung, dass "alles, was eine Form hat, die Wesensnatur (xing) des "dao" enthält." Das bedeutet, dass alle Dinge Faktoren des dao beinhalten, alle haben die Hoffnung, sich weiter zu entwickeln, auf unterschiedliche Art und mit unterschiedlichen Methoden die Daseinsform des Lebens auf eine höhere Ebene zu bringen, um den Bereich der Einheit mit dem "dao" zu erlangen.<<
Li Hechun (Übers. Bartl, Marlies): in Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2017. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng., S. 155

Li Hechun ist der derzeitige Abt des daoistischen Zhizhen-Tempels in Chengdu. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen über daoistische Kultur und Rituale.




„Das Dao ist der Herr des Geistes. Der Geist ist der Herr des Qi. Das  Qi ist der Herr der körperlichen Gestalt. Die körperliche Gestalt ist  der Herr des Lebens. Gibt es kein Leben, endet die Form. Endet die Form,  endet das Qi. Endet das Qi, endet der Geist. Endet der Geist, kommt das  Endlose. Das nennt man das >>Ende ohne Ende<<.“

Zhonghe Ji – Anthologie der Harmonie der Mitte

Darga, Martina (Übers.): TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 134 f., Zhonghe Ji [Kap.1, S. 5b]

Autor des Zhonghe Ji ist Li Daochun (ca. 1219-1296). Er stammte aus der  heutigen Provinz Hunan, war Daoist und Abt des Tempels des Langen Lebens  in Yizhen. Sein Schüler Cai Zhiji sammelte die philosophischen  Abhandlungen, Gedichte, Lieder und Dialoge. Er gab sie im Jahr 1306  heraus. Das Werk beinhaltet Gedanken über die letzte Wirklichkeit, die  Ureinheit, und komplementäre Paare wie Körper und Geist, Ruhe und  Bewegung, Substanz und Funktion, Kontraktion und Expansion usw..  Interessant ist u.a. die zentrale Aussage der Übereinstimmung eines  authentischen Kerns der drei Lehren Konfuzianismus, Buddhismus und  Daoismus. Das völlige Erwachen des Buddhismus, das Allerhöchste (taiji)  des Konfuzianismus und das Goldene Elixier der daoistischen Inneren  Alchemie (jindan) setzt er gleich.
vgl. Darga, S. 262




"Das Tao verblaßt, wenn aus Offenheit Geist, aus Geist Energie und aus Energie Form wird. Ist die Form geboren, wird davon alles vereitelt. Das Tao ist in seinem Wirken, wenn aus Form Energie, aus Energie Geist und aus Geist Offenheit wird. Ist die Offenheit klar, so ist dadurch alles im freien Fluß."
Tan Jingsheng

Cleary, Thomas (Übers., Hrsg.): Das Tao der weisen Frauen. Der weibliche Weg der inneren Entwicklung. Übers. aus dem Amerikan. Jochen Eggert. 1. Aufl., Bern u.a.: O.W. Barth 1993, S. 32

Ausgehend von der Vorstellung der "Stoff" der wahren Leere sei derselbe wie der des Menschen, hat er die Möglichkeit, mittels taoistischer ("daoistischer" Pinyin Umschrift) Techniken die Richtung seiner Entwicklung in einen offeneren Zustand zu lenken, um in der Leere aufzugehen.
Neben diesem hohen Anspruch ist an der Basis in der chinesischen Medizin ebenfalls das Lösen von Blockaden, Stauungen, Verdichtungen von Qi und Körperflüssigkeiten eine bedeutende therapeutische Methode (vgl. Despeux 2018), im Qigong ganz besonders. Daher sollte die Vorstellung des "Sich Weitens", "Raum-Schaffens" zwischen den einzelnen Körperzellen beim regelmäßigen Üben, was auch während der Alltagsbeschäftigungen sein kann, präsent sein.

Despeux, Catherine. Schmerz in der chinesischen Medizin - dreitausend Jahre Erfahrung. Zeitschrift für Qigong Yangsheng. 2018, S. 13 ff.




"Die Eine Energie des Himmels und der Menschen ist ursprünglich dieselbe, doch der Körper hält sie zurück, und sie kann sich nicht vereinigen. Läutere den Körper soweit, daß er mit dem Geist verschmilzt, und du wirst erkennen, daß der Stoff derselbe ist wie die wahre Leere."
Sun Bu-Er

Cleary, Thomas (Übers., Hrsg.): Das Tao der weisen Frauen. Der weibliche Weg der inneren Entwicklung. Übers. aus dem Amerikan. Jochen Eggert. 1. Aufl.. Bern u.a.: O.W. Barth 1993, S. 73

In der daoistischen Geschichte finden sich zahlreiche Legenden über weibliche und männliche Unsterbliche. Sun Bu-Er gehört zu den weisen Frauen und erlangte mittels Innerer Alchemie die Unsterblichkeit.
Die Innere Alchemie entwickelte sich während der Tang-Dynastie (618-907) unter Verwendung älterer Qi-Techniken. Das Qi wird in einem Verwandlungsprozess allmählich verfeinert, das Gehirn genährt, große Mengen Qi mittels unterschiedlicher Methoden aufgenommen  und durch den Körper geführt, die Organe gereinigt und einzelne Dantian verbunden, die Konzentration auf bestimmte Bereiche des Körpers fokussiert und buddhistische Meditation praktiziert. (vgl. Despeux, S.37 f.)
Es gibt verschiedene Stufen in der Entwicklung der Unsterblichkeit. In den höheren Stufen ist der Geist nicht mehr an den Körper gebunden und kann sich frei bewegen. Auf den unteren Ebenen ist der Mensch kräftig und gesund. (vgl. Cleary, S. 70 f.) Sun Bu-Er gehört zu den beliebtesten Gestalten in der Überlieferung über Unsterbliche bei der chinesischen Bevölkerung. Ihr daoistischer Titel lautet "Klarer und Stiller Freier Mensch". (vgl. Cleary, S. 37)
Die Techniken zur Verwandlung sind traditionell für Frauen und Männer etwas unterschiedlich. Im Werk "Das Tao der weisen Frauen" kommt Sun Bu-Er zu Wort und beschreibt die Vorgänge. Als Anleitung ist es dennoch ungeeignet. Die Techniken der Inneren Alchemie bedürfen einer peinlichen Überwachung von erfahrenen und ausgebildeten Praktikern, da sie leicht Schaden anrichten können. Im "Mark des roten Phönix" heißt es, dass man sich zugrunde richtet, wenn man die Innere Alchemie ohne Lehrer praktiziert. Aber gewisse Grundlagen werden im normalen Qigongunterricht geschaffen.

Despeux, Catherine (Übers.): Das Mark des roten Phönix. Uelzen: ML 1995
Cleary, Thomas (Übers., Hrsg.): Das Tao der weisen Frauen. Der weibliche Weg der inneren Entwicklung. Übers. aus dem Amerikan. Jochen Eggert. 1. Aufl.. Bern u.a.: O.W. Barth 1993




"Hast Du den wahren Meister nicht gefunden, versuche nicht es dir zurechtzulegen."
Zhang Boduan

Lüdi Kong, Eva (Übers.): Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2018. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng., S. 35, [Zhang Boduan: Wuzhen Pian, 59. Gedicht]

Zhang Boduan, Gelehrter und Begründer der südlichen Schule der Inneren Alchemie, lebte von 987 - 1082 n. Chr.. Das Wuzhen Pian gilt als Standardwerk der Inneren Alchemie, da es allein deren gesamten Wandlungsprozess darlegt.
vgl. Cleary, Thomas (Übers., Hrsg.): Chang Po Tuan: Das Geheimnis des goldenen Elixiers. Die „innere Lehre“ des Taoismus von der Verschmelzung von Yin und Yang. Bern u.a.: O. W. Barth 1990




"Nicht erst dann heilen, wenn eine Krankheit vorliegt, sondern bevor eine Krankheit entsteht."
Huangdi neijing, Su wen

Lüdi Kong, Eva (Übers.): Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2018. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 25, Huangdi neijing, Su wen

Das Huangdi Neijing Su wen ist ein wichtiger Klassiker der Traditionellen Chinesischen Medizin. Übersetzt wird der Titel u.a. mit "Innerer Klassiker des Gelben Fürsten" oder "Buch des Gelben Kaisers zur Inneren Medizin". Schon während der Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) unter anderem Namen vorliegend, wurde es im Laufe der Jahrhunderte erweitert und wechselte mehrmals die Bezeichnung. Es befasst sich vor allem mit der äußeren Anwendung von Behandlungen wie z.B. der Akupunktur und Moxibustion und der Organ- und Meridian-Theorie. Die Priorität und der Fokus auf der Prävention in der TCM werden hier bereits deutlich. Das medizinische Qigong ist eine der Therapiemethoden dieser Heilkunst.




Das Dao liegt in deinem Körper. In deinem Körper ist noch ein Mensch verborgen. Ob du schläfst oder wachst, stets ist er dein enger Gefährte. Beim Sehen und Hören, beim Sprechen und Handeln - immer seid ihr ganz eng miteinander verbunden. Er ist aber nicht das Bewusstsein des unterscheidenden Wissens der manifestierten Welt. Sondern er entspringt der wahren Essenz, dem wahren Qi und dem wahren Geist. Suchst du ihn in konkreten Gestalten oder Formen, dann siehst du im Sklaven den Herrn und bist für immer verloren.
Liu Yiming - Aufzeichnungen über das Erwachen zum Dao
Darga, Martina (Übers.): TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 137, Wudao Lu 65. Lied , [S. 626]

Der Autor des Wudao Lu, Liu Yiming (1743-1821), war ein Meister der Inneren Alchemie und Patriarch der Drachentor (Longmen)-Schule. Als Jugendlicher schwer erkrankt wurde er von einem daoistischen Meister geheilt. Zwei Jahre darauf begann er mit der Erforschung des Dao. Er reiste 13 Jahre durch China und wurde Schüler von zwei Meistern, die ihn in der Inneren Alchemie unterwiesen. Er lebte einige Jahre als Einsiedler und verfasste mehrere Werke, die unter dem Namen "12 Bücher über das Dao" publiziert und bis in unsere Zeit mehrfach aufgelegt wurden. (vgl. Darga, S. 258 f.)

Zum "wahren Qi":
Der Mensch nimmt das kosmische Qi aus der Atmung, das Nahrungsqi aus dem Essen auf und wird mit der Geburt mit dem Ursprungsqi, dem Yuanqi, ausgestattet, das in den Nieren gespeichert wird. Alle drei Qi-Arten verbinden sich zum "wahren Qi", das den Organismus durchströmt und den Körper nährt und belebt. (vgl. Brauner, S. 185) Das Yuanqi ist die subtilste Form des Qi in seinem undifferenzierten vorgeburtlichen Zustand. Dieses, auch "primäres Qi" genannte Qi, wird zum Teil als Synonym für das Dao genutzt. Es befindet sich im Sinne eines "Urchaos" noch jenseits der Polarität von Yin und Yang. Der daoistische Adept verfeinert sein Qi bis die differenzierte Welt sich wieder aufzulösen beginnt. (vgl. Engelhardt, S. 10 f.) Das ist gemeint mit "zurück zum Ursprung" in der daoistischen Praxis.


Zur "wahren Essenz":
„Das Dao als Mutter ist der kosmische Grund, aus dem alles Sein entspringt und zu dem alle Lebewesen zurückkehren. Es ist die Quelle und Essenz des ganzen Universums, die alles umfassende und nährende Kraft am Ursprung der Welt.“ (Livia Kohn, S. 30)


Zum "wahren Geist" s.u. unter: Der spirituelle Geist (shén) in der alten chinesischen Philosophie


F. Anders, V.E. Brauner, A. Zock: Taiji - Atemenergie und Biomechanik. Aachen: Shaker Media 2016
Ute Engelhardt: Die klassische Tradition der Qi-Übungen (Qigong). 2. Aufl. Uelzen: ML 1997
Livia Kohn: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2017. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng




Wandelt sich der Körper, existiert Leben. Existiert Leben, existiert auch der Tod. Heraus ins Leben zu gehen und dann in den Tod einzutreten, das ist das Gesetz für alle Manifestationen.

Wandelt sich das Qi, existiert das Leben nicht. Existiert das Leben nicht, existiert auch der Tod nicht. Kein Leben, kein Tod - das ist das Gesetz für den Geist.
Zhonghe Ji - Anthologie der Harmonie der Mitte

Darga, Martina (Übers.): Tao - Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 134, Zhonghe Ji, Kap.1, [S. 5a]

Über das Qi aus einem daoistischen Text:
„Das Qi ist der Himmel, das, was Beziehung herstellt, das, was alles durchdringt; es ist der Wind, die Bewegung, die Verwandlungen, die Atmung, das, was leicht ist, was sich erhebt, davonfliegt, sich zerstreut, sich öffnet und strahlt, es ist das Licht.“

Catherine Despeux (Übers.): Das Mark des roten Phönix. Uelzen: ML 1995. S. 27. T.38, Fasz. 28, Taishang shengxuan sanyi rongshen bianhua miaojing [S. 11b]




Mach dich nicht zum Sklaven des Ruhms. Mach dich nicht zu einem Lagerhaus voller Pläne. Lade dir nicht die Bürde von Geschäften auf. Mach dich nicht zum Herrscher des Wissens. Verkörpere das Unerschöpfliche und wandere im Nicht-Seienden. Erfülle bis zum Äußersten das, was du vom Himmel empfängst, aber stelle nicht zur Schau, was du erhalten hast. Sei leer und sonst nichts!

Der höchste Mensch gebraucht sein Herz wie einen Spiegel. Er hält nichts fest und geht nichts entgegen. Er wirft ein Echo zurück, aber hortet nicht. Daher kann er das Weltliche übersteigen ohne Schaden zu nehmen.
Zhuangzi

Darga, Martina (Übers.): TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 88f., Zhuangzi. Kap. 7, 6. Abschnitt

Zur Erklärung des Begriffes "Herz" siehe weiter unten die Erläuterungen zu "Geist des Herzens".




"Unter den Vorfahren des Kung Dsi (Konfuzius I.K.) war einer, der, als er den ersten Rang erhielt, mit gebeugtem Haupt umher ging; als er den zweiten Rang erhielt, da ging er mit gebeugtem Rücken; als er den dritten Rang erhielt, da duckte er sich und drückte sich an der Wand entlang. Wer möchte nicht ihn zum Vorbild nehmen! Aber die gewöhnlichen Menschen, wenn sie den ersten Rang bekommen haben, gehen stolz erhobenen Hauptes umher; wenn sie den zweiten Rang erhalten haben, so sitzen sie voll Anmaßung im Wagen; haben sie den dritten Rang erhalten, dann nennen sie alle ihre Oheime beim Vornamen." ...

Zhuangzi
Wilhelm, Richard: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland/Dschuang Dsi. München: Hugendubel 2002, S. 292




"Nüchterne Erkenntnis:
Kleine Schweine, besungen von einem Betrunkenen

Am Gatter des Schweinepferchs halte ich mich,
Betrachte genüsslich die Ferkelschar:

Sieh da! Ein Ferkel, ein Starkes,
Das die anderen beherrscht und vertreibt.

Verschlingt dieses Starke nun wirklich
Das Schweinefutter allein,

Gereicht es ihm kaum zum Vorteil
Zuerst dick und fett zu sein."

Anonymus, Qing-Zeit (1644-1911)


Manfred Dahmer: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2018. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng., S. 64

Ein gängiges Motiv wird hier aufgegriffen. Es zeigen sich Parallelen zu Laozis Vers 78:
„Nichts in der Welt
ist geschmeidiger und weicher als das Wasser,
doch nichts kann besser als es
dem Festen und Harten zusetzen. –
Denn es lässt sich nicht wandeln.

Dass das Wasser das Massive besiegt,
dass das Weiche das Harte besiegt –
keiner auf der Welt, der das nicht wüsste,
und doch keiner, der es anzuwenden vermag.“ [...]

Übertragen von Hans Georg Möller.

Oder auch das I Ging hierzu, einer der ältesten Klassiker Chinas, übersetzt von Richard Wilhelm:
"Feste Entschlossenheit und Klarheit im Inneren,
sanfte Anpassung und Stärke im Äußeren:
Das ist der Weg, etwas zu erreichen."

Bei Zhuangzi (Kap.20), 4. Jhd. v. Chr., finden sich Hinweise auf den Vorteil der Zurückhaltung in der Erlangung höchster gesellschaftlicher Positionen. Und die "Reise in den Westen" aus dem 17. Jhd., übersetzt von Eva Lüdi Kong, erzählt uns vom Unsinn von "Kampf um Ruhm und Streit um Gunst", denn bei allen "Müh´n"..."für Kleid und Speise" wird nicht bedacht, dass bald "der Höllenfürst sie holt".




"Himmel und Erde sind die größten der gestalteten Dinge; Yin und Yang sind die größten der qi (der `energetischen Konstellationen`); das Dao aber umschließt alles."

Ute Engelhardt: Die klassische Tradition der Qi-Übungen (Qigong). 2. Aufl. Uelzen: ML Verlag 1997, S. 11, [Zhuangzi, Kap. 25]

Yin und Yang sind die beiden Prinzipien, in die alle Erscheinungen der Welt im Sinne des Dualismus unterteilt werden. Die Yin-Qualität entspricht z.B. mehr der Ruhe, der Kühle, der Verdichtung, der Materie; das Yang dem Feuer, der Bewegung, der Wärme. Beide Eigenschaften sind in allem in unterschiedlichem Ausmaß enthalten. Die jeweilige Betonung fluktuiert. In der Fachliteratur besteht Uneinigkeit über die Bewertung der beiden Polaritäten. Zum einen wird eine wertfreie Betrachtung in der alten chinesischen Philosophie angenommen, zum anderen wird eine gewisse Aufwertung des Yin-Prinzips, des Weiblichen und Nachgebenden postuliert, so z.B. bei Laozi über die Weichheit des Wassers (Yin), die das Harte (Yang) besiegt.




"Die Methode, den Körper zu nähren
Der wahre Körper ist ohne Form. Er ist nicht leer und er existiert nicht. Es gibt für ihn kein Hinten und kein Vorne, kein Unten und kein Oben. Er ist nicht kurz und auch nicht lang. Gebrauchst du ihn, dringt er überall durch. Verbirgst du ihn, ist er der Wahrnehmung entzogen und ohne irgendeine Spur.
Wenn du dieses Dao richtig verstehst, kannst du ihn (den wahren Körper) nähren. Nährst du ihn viel, wirst du auch viele Verdienste haben. Nährst du ihn wenig, wirst du nur wenige Verdienste haben. Blick dich nicht um und bleib nicht am Weltlichen hängen. Dann geschieht das Gehen und Bleiben auf natürliche Weise."
Darga, Martina (Übers.): Tao - Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 133, Fünfzehn Abhandlungen von Chongyang zur Begründung seiner Lehre, Wang Chongyang. 14. Abhandlung, [S. 5b]

Der "wahre Körper", Fashen (wörtlich Gesetzeskörper), ist im Buddhismus "Dharmakaya" und meint die letzte Wahrheit und die Buddhanatur im Menschen.

"Blick dich nicht um...": Sowohl in anderen daoistischen Texten wie auch bei verschiedenen christlichen Mystikern werden Erinnerungen als hinderlich zur Erreichung des Ziels eingestuft.

Zur Leere: siehe weiter unten




"Ich habe nur daher so große Kümmernisse, weil ich einen Körper (ein Selbst) habe. Hätte ich keinen Körper (kein Selbst), wie könnte ich dann Kümmernisse haben?"
Darga, Martina (Übers.): Tao - Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 122,
Daodejing, Laozi. Abschnitt 13




"Versuch nicht, einen großen Wagen vor Dir herzudrücken
Du wirbelst doch nur Staub auf über Dir
Lad Dir nicht Deine hundert Ängste auf den Rücken
Das macht Dich krank, Du bist unglücklich hier

Versuch nicht, einen großen Wagen vor Dir herzudrücken
Der Staub lässt Deine Augen doch erblinden
Lad Dir nicht Deine hundert Ängste auf den Rücken
Denn Unvollkommenheit wird nie verschwinden

Versuch nicht, einen großen Wagen vor Dir herzudrücken
Dann wirst Du nur des Staubes dunkle Wolken sehen
Lad Dir nicht Deine hundert Ängste auf den Rücken
Das macht Dich schwer – und Du wirst untergehen"

Buch der Lieder 206

Dahmer, Manfred: Lass die Bilder klingen. Gedichte aus dem Chinesischen. Uelzen: ML 2007, S. 81

Die früheste erhaltene Version dieses Textes stammt von den Brüdern Mao (2. Jhd. v. Chr.) aus der Sammlung chinesischer Gedichte "Buch der Lieder", entstanden in der Zeit des 10.- 7. Jhd. v. Chr..




Über Worte und Wirklichkeit

"Was wir sehen, sind Formen und Farben, was wir hören, sind Worte und Töne. Zu ihrem Unglück
stellen sich die Menschen vor, dass sie mittels dieser Formen und Farben, dieser Worte und Töne die Wirklichkeit erfassen. Darin irren sie sich aber, denn wenn man wahrnimmt, spricht man nicht, und wenn man spricht, nimmt man nicht wahr."
Zhuangzi
Jean Francois Billeter: Das Wirken in den Dingen. Vier Vorlesungen über das Zhuangzi. Übers. aus dem Franz. Thomas Fritz. 2. Aufl. 
Berlin: Matthes & Seitz 2017, S. 24

Die Wirklichkeit sei nicht zu verwechseln mit dem, was wir sehen. Wir besitzen ein Werkzeug, das Auge, das uns Formen und Farben sehen lässt. Hätten wir ein anderes Werkzeug, würden wir anderes erfassen. Auch Worte seien ungeeignet, die Wirklichkeit zu erkennen, da der Mensch nicht gleichzeitig reden und wahrnehmen könne. Diese Schlussfolgerung spricht der Philosophie als Akt der Benennung und Eingrenzung durch Worte das Potential ab, die letzte Wirklichkeit zu ergründen. Hier noch zur weiteren Veranschaulichung die entsprechende Textpassage nach der Übersetzung von Richard Wilhelm:
"So ist das, was man beim Anschauen sieht, nur Form und Farbe, was man beim Hören vernimmt, nur Name und Schall. Ach, daß die Weltmenschen Form und Farbe, Name und Schall für ausreichend erachten, das Ding an sich zu erkennen! Form und Farbe, Name und Schall sind wirklich nicht ausreichend, um das Ding an sich zu erkennen. Darum: >>Der Erkennende redet nicht; der Redende erkennt nicht.<< "(vgl. Laozi 56) 
Wilhelm, Richard: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland/Dschuang Dsi. München: Hugendubel 2002, S. 153




Über Gefühle

"Eine Regierung sollte eine Armee nicht aus Zorn mobilisieren; militärische Führer sollten einen Krieg nicht aus Wut provozieren. Zorn kann sich in Freude kehren, Wut kann sich in Entzücken wandeln, aber eine zerstörte Nation kann nicht wiederhergestellt und die Toten können nicht wieder zum Leben erweckt werden."
Sunzi
Cleary, Thomas (Hrsg.): Wahrhaft siegt, wer nicht kämpft. Die Kunst des Krieges/Sunzi. Übers. aus dem Engl. Ingrid Fischer-Schreiber.  4. Aufl. München: Piper 2003, S. 44
Das Buch Sunzi ist mehr als 2000 Jahre alt und von einem General verfasst, dessen Strategien heute noch interessante Aspekte zahlreicher Lebensbereiche beleuchten. Es hat keinen ethischen Charakter sondern ist auf Praktikabilität und Effizienz ausgerichtet. Mit möglichst geringem Aufwand soll ein größtmögliches Ergebnis erreicht werden.

Das vergängliche Wesen der Gefühlswelt soll nicht Motivation des Handelns in Streitfragen sein, Wut und Zorn sollten sich nicht in materieller Form manifestieren, da die materielle Form nur schwerlich  zurückzuführen ist, anders als die wandelbare Emotionswelt.




Über die Leere

"...So ist die Leere die Wurzel von allem in der Welt.
Im Altertum diente dafür der Bambus als Vergleich:
Direktheit im Umgang mit allen Angelegenheiten,
Anpassung im Umgang mit der Welt,
Weichheit im Umgang mit dem Herzen,
Ruhe im Umgang mit dem Körper:
Das entspricht der Festigkeit der Bambusknoten.
In der Bewegung die Gefühle vergessen,
in der Stille die Gedanken vergessen,
in Resonanz mit dem Ursprung das Ich vergessen,
in Resonanz mit den Wandlungen alle Angelegenheiten vergessen:
Das entspricht der Leere im Inneren des Bambus."

Darga, Martina (Übers.): TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 88f., Zhonghe Ji, Kap.4, [S.9b-10b]

Das Herz im chinesischen Sinne beinhaltet Emotionen, Denken, Motivation, Wille, Erinnerung und Wissen. Mit dem Ursprung ist das Dao gemeint. Die "Wandlungen" beschreiben in der alten chinesischen Philosophie das Prinzip der steten Veränderung aller Dinge.




"Wenn die Menschen einen nicht anerkennen, und man doch keinen Groll darüber empfindet, ist das nicht auch ein Edler?"
Konfuzius: Lunyu (Gespräche), Übers. Ommerborn, Wolfgang. Kap. 1.1.. Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2017
 



Aller Menschen Leben
benötigt Zufriedenheit.
Hast du Angst, verlierst du deine innere Ordnung.
Verspürst du Ärger, verlierst du deine innere Aufrichtung.
Herrschen Angst, Trauer, Freude oder Ärger,
gibt es keinen Platz mehr für das Dao.
Fühlst du Liebe und Verlangen, dann beruhige sie.
Treten Dummheit und Unordnung auf, dann ordne sie.
Ziehe nicht, schiebe nicht –
Das Glück wird von selbst zurückkommen,
auch das Dao wird von selbst kommen.
Du kannst Dich seiner Führung anvertrauen.
Bist Du ruhig, erhältst du es.
Bist Du rastlos, verlierst Du es."

Neiye – Inneres Arbeiten
Darga, Martina (Übers.): TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 94

Das Neiye ist Teil den Buches Guanzi, des Meisters Guan, und geht auf die Kompilation von Liu Xiang (79 - 8 v. Chr.) zurück. Der Text selbst wird auf 350 - 300 v. Chr. datiert und hatte großen Einfluss auf die Theorie und Praxis der Selbstkultivierung im Daoismus, auch wenn er selbst keiner philosophischen Richtung zuzuordnen ist. Er ist das früheste Werk, das die tägliche Selbstkultivierung durch Harmonisierung von Essenz (wird ggf. durch den Liebesakt geschwächt) und Qi sowie die Reinigung des Herzens empfiehlt. Diese Methoden haben das Ziel, Geist und Dao in sich aufzunehmen, die als Kräfte außerhalb des Menschen verstanden werden.
Vgl. Darga, Martina: TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 254




„Das Dao ist die höchste Wirklichkeit und die höchste Subtilität, und es gibt nichts, das nicht von seiner Leere durchdrungen wird.“

Darga (Übers.) 2014: Daojiao Yishu – Schlüssel zur Bedeutung der daoistischen Religion [Kap.1, S. 1b]




Das Dao wird als Nicht-Seiendes (wu) im Gegensatz zum Seienden (you) beschrieben. Es sei die höchste Leere, heißt es. Nur im Zustand dieser absoluten Leere liege die Möglichkeit, die ganze Welt der Dinge, Formen und Gestalten, auch Gedanken und Gefühle im Keim zu enthalten.1 Es ist der Ursprung der „zehntausend Dinge“. Daher findet es häufig in seiner mütterlichen Eigenschaft Erwähnung. Der Mensch entstammt dem Dao und entwickelt sich bestenfalls in diesen Urzustand  zurück. Da die Welt aus dem Dao kommt, ist alles von ihm durchdrungen und unterliegt seinen Gesetzmäßigkeiten. Nähert man sich diesen Gesetzmäßigkeiten an, so ist es, als ob man mit dem Strom schwimmt. Entfernt man sich von ihnen, entstehen verstärkt Reibungsverluste.2 Praktiziert man Qigong, so ist dies eine Methode der Annäherung an diese Muster - eine Annäherung an die Leere, die Weite und Offenheit.
1Vgl. Darga, Martina: TAO – Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 30
2Vgl. Kohn, Livia: in Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2017. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng., S. 74




„Das Dao ist grundsätzlich höchste Leere. Die höchste Leere ist ohne Gestalt. Ihr Ende liegt in dem, was ohne Ende ist. Ihr Anfang liegt in dem, was ohne Anfang ist.“
Darga, Martina (Übers.): Tao - Wege der taoistischen Lebenskunst. München: O.W. Barth 2014, S. 37,
Zhonghe Ji, Kap.1, [S. 4a]

Autor des Zhonghe Ji ist Li Daochun (ca. 1219-1296). Er stammte aus der heutigen Provinz Hunan, war Daoist und Abt des Tempels des Langen Lebens in Yizhen. Sein Schüler Cai Zhiji sammelte die philosophischen Abhandlungen, Gedichte, Lieder und Dialoge. Er gab sie im Jahr 1306 heraus. Das Werk beinhaltet Gedanken über die letzte Wirklichkeit, die Ureinheit, und komplementäre Paare wie Körper und Geist, Ruhe und Bewegung, Substanz und Funktion, Kontraktion und Expansion usw.. Interessant ist u.a. die zentrale Aussage der Übereinstimmung eines authentischen Kerns der drei Lehren Konfuzianismus, Buddhismus und Daoismus. Das völlige Erwachen des Buddhismus, das Allerhöchste (taiji) des Konfuzianismus und das Goldene Elixier der daoistischen Inneren Alchemie (jindan) setzt er gleich.
Vgl. Darga, S. 262




Der Geist des Herzens (xin) in der alten chinesischen Philosophie

Der Geist des Herzens umfasst Emotionen, Denken, Motivation, Wille, Erinnerung und Wissen. Er kann offen und fließend sein oder aber kontrolliert und geregelt, den Menschen strukturierend nach Vorlieben und Abneigungen. Ein Geist, der sich auf die Gestaltung der Welt nach seinen Wünschen konzentriert, nimmt diese nur noch partiell und durch seine Urteile gefärbt wahr und ist daher eingeschränkt. Ein Geist des Herzens, der sich frei bewegen kann, frei fließt und mit einer Haltung der Offenheit der Welt entgegentritt, geht einher mit tiefer Erfüllung und deutet auf einen höheren Bewusstseinszustand hin.

Vgl. Livia Kohn: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2017. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng., S. 69 ff.




Der spirituelle Geist (shén) in der alten chinesischen Philosophie








„Der reine spirituelle Geist reicht in die vier Richtungen und fließt überall. Er erstreckt sich ganz weit und nirgendwo ist er nicht vorhanden. Oben reicht er in den Himmel; unten windet er sich auf der Erde. Er wandelt und nährt alle Dinge, aber niemand kann sein Form ausmachen. Er ist eins mit dem Kosmos (Zhuangzi, Kap. 15).“… „Eine aktive konfigurierende Kraft, eng mit dem Dao verbunden, hat der spirituelle Geist einen wandelnden Einfluss auf die Person, ist jedoch in sich ohne Grenzen und frei von allen Bewertungen und Urteilen, im Grunde kerngesund, stark und robust…(Lewis 2006, 22)… Er ist ganz in unserem Leben zu Hause und wohnt tief in unserer körperlichen Form. (Kuriyama 1999, 167) Im Geist ganz zu sein bedeutet, dass man ihn anstelle der Sinne zu Wahrnehmung und Reaktion benutzt… Der Geist ist stark, stärker als der Körper, und solange man mit dem spirituellen Geist eins ist, kann man die physische Form sich ändern lassen … Der Körper, der mit diesem Geist verbunden ist, stellt „einen grenzenlosen Organismus von unendlichen Dimensionen“ dar… (Dies indiziert auch I.K.), dass der menschliche Körper ein Teil eines größeren sozialen und kosmischen Korpus ist… und seine Substanz mit allen Menschen teilt. (Sommer 2010, 223)

Zit. nach Livia Kohn: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2017. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng., S. 72 ff.

Literatur:

Lewis, Mark Edward: The Construction of Space in Early China. Albany: State University of New York Press 2006, S. 22
Kuriyama, Shigehisa: The Expressiveness of the Body and the Divergence of Greek and Chinese Medicine. New York: Zone Books 1999, S. 167
Sommer, Deborah: Concepts of the Body in the Zhuangzi. In Experimental Essays on Zhuangzi, edited by Victor H. Mair, S. 212-27. Dunedin, Fla.: Three Pines Press 2010, S. 223