Im Tempel der Weißen Wolke


Die Anfahrt zum Tempel der Weißen Wolke

Es war heiß in Peking während des Hochsommers. Mein chinesischer Guide „Frank“, man gibt sich westliche Namen zur besseren Verständigung, wenn man viel mit Ausländern zu tun hat, besorgte mir ein Taxi und klärte das Ziel mit dem Fahrer ab, der sehr von einem Besuch des Tempels der Weißen Wolke abriet. Dort gäbe es nichts zu sehen, meinte er. Und auch mein Begleiter zweifelte daraufhin an der touristischen Anziehungskraft des Klosters. Bereits gewöhnt an das Unverständnis meiner Mitmenschen für meine Vorlieben in Sachen „Reisen“ blieb ich bei meinem Plan, und wir drängten uns mit lautem Hupen und gefährlichen Überholmanövern durch den dichten Verkehr Beijings. Wie eine Katze glitt unser Wagen durch die engsten Lücken und Hohlräume ohne irgendwo anzuecken. Ich war beeindruckt.

Eine Gratwanderung zwischen Tradition und Moderne

Nach einer halben Stunde Fahrt kamen wir endlich an, und ich staunte nicht schlecht. Was denn hält ein chinesischer Taxifahrer für ausreichend interessant, wenn nicht das? Ein riesiges buntes Tor, in Blau- und Rottönen gehalten, gestattet den Durchgang, überschrieben mit „zur wundervollen Landschaft des Aufenthaltsortes daoistischer Gottheiten“, „洞 天胜 竟 – Dongtian Shengjing“. Vielleicht ist diese Einladung aber auch nur eine Konzession an den Ungläubigen, denn „Dongtian“ bedeutet neueren Datums auch „Sehenswürdigkeit“ (vgl. Liu 2017) und „shengjing“ wundervolle Landschaften, also ebenso „Sehenswürdigkeit wundervoller Landschaften“. So ist allen Weltanschauungen genüge getan, und man treibt geschmeidig wie mein Taxifahrer durch die Welt. Der "Dongtian", wörtlich "Höhlenhimmel", bezeichnet daoistische heilige Orte und gilt als der 1. in der Rangfolge von 36 seiner Art in China (vgl. Bartl 2006).

Ruhe und Frieden im Tempel

Die Mönche, die mir begegneten, waren in weißem Oberteil und schwarzer Hose gekleidet. Im Baiyun Guan, wie der Tempel auf Chinesisch heißt, gibt es aber auch die komplett dunkle Tracht. Man sah tatsächlich nur wenige touristische Besucher, ein besänftigendes Erlebnis der Ruhe im Trubel der Millionenstadt. Die Bewohner des Tempels ließen sich in ihren Angelegenheiten nicht weiter stören. Man ging in steter Langsamkeit seinen Geschäften nach und ließ auch die Fremden in ihrer Neugier gewähren.

Götter, Gräber und Gelehrte

In diversen Hallen warten die eben erwähnten Götter der Anbetung, der Jadekaiser „Yu Di“, der das höchste Prinzip des Himmels verkörpert und der altbekannte Laozi (Laotse), den man ebenfalls in den gottgleichen Stand erhob. Auch gibt es diverse Götter geringeren Standes in den Nebenhallen, die man um Gefälligkeiten bitten kann. Aus den Opfergefäßen steigt dichter Nebel von unzähligen Räucherstäbchen der chinesischen Gläubigen empor, was mich bei meinem ersten Besuch in China nach jahrzehntelanger kommunistischer Regierung sehr verwunderte. Die frühesten Gebäude eines daoistischen Klosters entstanden im 8. Jhd. an diesem Ort. Im Jahr 1227 starb der berühmte Begründer der daoistischen Drachentorschule Qiu Changchun hier, der mit Dschinghis Khan bekannt war, und wurde auch an diesem Platz begraben, was die Bedeutung des Tempels erhöht. Während der Yuan-Zeit (1279–1368) war der Tempel ein wichtiges daoistisches Zentrum und erhielt seinen heutigen Namen in der frühen Ming-Dynastie (14. Jhd.), nachdem er vom Kaiser Chengzu neu gestaltet worden war. Die heutigen Gebäude stammen aus der Ming- und Qing-Dynastie.
Vor der Praxis eines daoistischen Arztes, ebenfalls Mitglied des Klosters, sitzen Kranke auf einer Bank auf Linderung hoffend.

Das Bild fürs Fotoalbum

Mein Begleiter meint es gut mit mir und bedrängt einen unwilligen Mönch, ein Foto mit mir aufzunehmen. Am Ende gibt der derart unter Druck Gesetzte weise nach und wir machen das typisch chinesische Erinnerungsbild, das, nach meinem vierwöchigen harten Qigongtraining aufgenommen, nicht wirklich vorzeigbar ist. Dann noch ein Schnappschuss auf einer steingewordenen heiligen Schildkröte reitend, und ich habe meine Schuldigkeit getan.

Die Genderfrage in meinem Sternbild

Mein chinesischer Freund entdeckt die an einer Mauer installierten Reliefs der 12 Tierkreiszeichen des chinesischen Kalenders. Begeistert erklärt er mir, dass ich als „Tiger“ für andere Menschen sehr angsteinflößend wäre, und daher andere Menschen sich mir nur vorsichtig näherten, wenn überhaupt. Dagegen konnte ich einwenden, dass er schließlich sogar freiwillig meine Gesellschaft suche. Nun erfuhr ich allerdings, dass dies nur an seinem Sternzeichen „Pferd“ läge. Das Pferd sei sehr mutig.
Zu meiner Verteidigung möchte ich anführen: Im Jahr des Tigers ist jeweils ein ganzer Jahrgang Tiger. Und die negativen Auswirkungen gelten „natürlich“ auch mehr für Frauen, denn der Tiger gilt als machtvolles Tier, was einem Mann nach traditionellem chinesischem Verständnis gut zu Gesicht steht, einer Frau aber in ihrer Rolle diverse Problem einbringt. – Gut, dass ich in Deutschland lebe!

Die berühmte daoistische Stele – Das Neijing tu

 

Im Tempel befindet sich das berühmte Neijing tu, die Karte des inneren Gewebes, eine Abbildung des menschlichen Körpers nach daoistischer Vorstellung, eingraviert in Stein von einem Mönch im 19 Jhd.. Es zeigt den Leib als beseelte und belebte Welt, ausgehend von der Vorstellung des Menschen als Abbild des Kosmos und dient sowohl zu Lehrzwecken wie auch als Meditationsobjekt. Das Relief beinhaltet Informationen zu den Techniken der Inneren Alchemie, greift Themen der Traditionellen Chinesischen Medizin auf und enthält Elemente des Yangsheng, der Lebenspflege.


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Bartl, Marlies: Zeitschrift f. Qigong Yangsheng 2006. Hrsg. Med. Ges. f. Qigong Yangsheng, S. 94

Liu, Yanyan: Das Christentum im Spiegel chinesischer Gedichte. Eine Fallstudie über Minzhong zhugong Zengshi, Gewidmete Gedichte aller Meister aus Fujian. Diss.,  Universität Bonn 2017. URL:<http://hss.ulb.uni-bonn.de/2017/4764/4764.pdf>(Abruf 17.11.2018)